Experten fahnden nach Arbitragemöglichkeiten
FRANKFURT. Finanzderivate gelten als obskur, verwickelt und riskant. Und das
nicht zu Unrecht, wie die aktuelle Krise der globalen Finanzmärkte zeigt. Um
Finanzderivate richtig bewerten zu können, bedarf es ausgefeilter Methoden der
Finanzmathematik. "Ausgelöst durch den explosionsartigen Anstieg des
Derivatehandels hat sich die Mathematik zu einer Schlüsseltechnologie auf
modernen Finanzmärkten entwickelt", urteilt Prof. Christoph Kühn von der
Goethe-Universität, an der die Finanzmathematik derzeit stark ausgebaut wird. Am
Frankfurter MathFinance Institute arbeiten Mathematiker und
Wirtschaftswissenschaftler eng zusammen. Im Rahmen der zweiten
Ausschreibungsrunde der Loewe-Initiative soll diese Kooperation im Schwerpunkt
"Finanzmathematik und quantitative Finanzwirtschaft" weiter ausgebaut werden. In
der aktuellen Ausgabe von "Forschung Frankfurt" stellt Prof. Christoph Kühn das
mathematische Werkzeug vor, das Finanzakteuren beim Risikomanagement behilflich
ist.
Bei Finanzderivaten handelt es sich um Wertpapiere, bei denen die
Höhe der Auszahlung von dem Preisverlauf eines oder mehrerer Basiswertpapiere
abhängt ("abgeleitet" ist). Basisgrößen können Aktien, Bonds, Währungen,
Rohstoffpreise, Indizes oder andere Derivate sein. Typisches Beispiel für ein
Derivat ist eine Kaufoption (Call-Option), die dem Halter das Recht verleiht, zu
einem späteren Zeitpunkt eine Einheit des Basiswertpapiers zu einem heute
festgelegten Preis (Strikepreis) zu kaufen. So kann eine Firma, deren Produktion
stark von einem bestimmten Rohstoff wie Öl abhängig ist, unkalkulierbare
Preisanstiege vermeiden, indem sie das Recht erwirbt, das Öl in sechs Monaten zu
einem vorher vereinbarten Preis zu kaufen. Aber was ist ein fairer Preis? Da die
Entwicklung des Ölpreises nicht genau vorhergesagt werden kann, müssen
verschiedene Fälle und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens mathematisch
durchgespielt werden. Dabei kommt es auch darauf an, die Derivate im Verhältnis
zueinander richtig zu bewerten, damit kein Spielraum für Arbitrage
entsteht.
Als Arbitrage bezeichnet man eine risikolose Gewinnmöglichkeit
ohne Kapitalbindung. Ein Investor kann dabei durch geschicktes Kaufen und
Verkaufen der am Markt verfügbaren Wertpapiere Gewinne erzielen. Oft lassen sich
eindeutige Derivatpreise aus der Forderung ableiten, dass keine Spielräume für
Arbitrage bleiben. Diese Minimalanforderung an ein sinnvolles ökonomischen
Modell ist allerdings aufgrund der komplexen Verflechtungen nicht so leicht zu
realisieren. Deshalb nutzen auch Arbitrageure, beispielsweise
Hedgefonds-Manager, Modelle der Finanzmathematik, um Arbitragemöglichkeiten
aufzuspüren und sie für sich zu nutzen. So wird mit aufwendigsten
Computerprogrammen ständig danach gefahndet, ob alle Wertpapiere vom Markt
"richtig" zueinander bewertet sind.
Als Geburtsstunde der modernen, auf
anspruchsvollen wahrscheinlichkeitstheoretischen Modellen beruhenden
Finanzmathematik wird das Jahr 1900 angesehen, in dem Louis Bachelier seine
Dissertation an der Sorbonne einreichte. Bachelier, der gleichzeitig an der
Pariser Börse tätig war, nutzte eine eindimensionale Brown\'sche Bewegung zur
mathematischen Beschreibung von Aktienkursen. Die Methode ist das
kontinuierliche Analogon zur "elementaren Irrfahrt" eines Betrunkenen, der mit
jedem Schritt zufällig nach links oder rechts torkelt. Macht man die
Zeitintervalle unendlich klein, so lassen sich damit die "ganz vielen, ganz
kleinen" zufälligen Auf- und Abwärtsbewegungen von Aktienkursen
modellieren.
Eines der erfolgreichsten Modelle, die auf dem Prinzip der
Brown\'schen Bewegung beruhen, ist das 1997 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete
Black-Scholes-Modell. Neben einigen anderen vereinfachenden Annahmen ist das
wesentliche Manko des Modells, dass es Sprünge des Aktienkurses, die das Risiko
auf den Märkten erhöhen, nicht berücksichtigt. Allerdings gibt es
Weiterentwicklungen des Modells, mit denen man auch den Fall modellieren kann,
dass der Investor nicht in der Lage ist, auf einen Sprung des Kurses schnell
genug zu reagieren. "Ein wichtiger Effekt auf den Märkten ist, dass das Hedgen
von Optionen einen teils immensen Rückkoppelungseffekt auf den Aktienpreis
ausübt", erklärt Kühn, "dieses Phänomen wird dadurch befördert, dass viele
Optionen in deutlich größeren Volumina gehandelt werden als die zugrunde
liegenden Aktien". Ein ähnliches Problem besteht darin, dass bei leichten
Kursverlusten die Computerprogramme einiger Marktteilnehmer Verkaufsempfehlungen
aussprechen, deren Befolgung zu weiteren Kursverlusten führt, was wiederum
weitere Marktteilnehmer zum Verkauf verleitet.
Prof. Christoph Kühn
Tel.: 069/798-23357
E-Mail: ckuehn@math.uni-frankfurt.de
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Mertonstr. 17 / PF 055
60054 Frankfurt am Main
http://www.wiwi.uni-frankfurt.de/
Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. Vor 94 Jahren von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen
Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit 45 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Uni
den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigt sich die Goethe-Universität als eine der forschungsstärksten Hochschulen Deutschlands.