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30.10.2006 -
dvb-Presseservice
Risikostrukturausgleich: Deutsche Übergründlichkeit führt in die falsche Richtung
Bei der geplanten Erweiterung des Finanzausgleichs der Krankenkassen werden in deutscher Übergründlichkeit die Weichen in die falsche Richtung gestellt. Das ist das Ergebnis eines internationalen
Projektes, das im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) Erfahrungen aus der Schweiz, den Niederlanden und den USA unter die Lupe genommen hat. Alle drei haben Erfahrungen bei der Berücksichtigung
von Risikoaspekten in der Gesundheitsversorgung. Das Resümee von Professor Dr. Eberhard Wille (Universität Mannheim) und Professor Dr. Volker Ulrich (Universität Bayreuth), die das Projekt koordiniert
haben: "Der für Deutschland geplante morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich ist für die Etablierung eines echten Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur überflüssig,
sondern auch kontraproduktiv. Die internationalen Erfahrungen zeigen unisono, dass wettbewerbliche Alternativen zu dem ins Auge gefassten Finanzausgleich bestehen, die transparenter sind, weniger
bürokratischen Aufwand bedeuten und sich in eine wettbewerbliche Ausrichtung des Systems einbetten lassen."
Die Motive der TK erläuterte Professor Dr. Norbert Klusen, Vorsitzender des
Vorstandes: "Bevor man Systeme fundamental ändert, sollte man einen Blick über den Tellerrand wagen. Das tun Gesundheitspolitiker ja durchaus auch bei anderen Themen. Warum sollte Deutschland
also nicht auch bei der Berücksichtigung von Risikoaspekten von anderen Staaten lernen?"
USA (Prof. Dr. Thomas McGuire, Harvard Medical School, Boston)
In den USA gibt es
einen formalen Risikostrukturausgleich (RSA) nur im öffentlichen Medicare-System. Der private Krankenversicherungsmarkt setzt stärker auf Wettbewerbselemente (Vertragswettbewerb über Preise, Mengen
und Qualitäten). Strebt die Politik eine Angleichung der Beitragssätze der Krankenkassen als politisches Ziel an, gibt es nach amerikanischen Erfahrungen eine Reihe einfacherer Möglichkeiten als einen
technisch komplizierten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.
Effizienzprobleme aufgrund von Risikoselektion durch die Krankenkassen sind in Deutschland verglichen mit den USA
klein. Die unterschiedlichen Beitragssätze sind im deutschen System aufgrund der Wahlfreiheit der Versicherten zudem kein Effizienzproblem.
Niederlande (Dr. Rudy Douven, Central Planbureau,
Den Haag)
In den Niederlanden kennt man einen an Krankheitskriterien orientierten Risikostrukturausgleich. Er ist jedoch transparenter und praxisorientierter als in Deutschland vorgesehen
(wenige Diagnosen, Klinikaufenthalte erst ab drei Tagen, im Zeitablauf wechselnde Ausgleichskriterien). Die niederländischen Erfahrungen zeigen, dass es entgegen der in Deutschland verbreiteten
Annahme kein morbiditätsorientiertes RSA-System gibt, das per se überlegen ist. Zudem bedarf das aufwändige Ausgleichssystem ständiger technischer Anpassungen und entwickelt sich zu einem
Spezialistensystem mit der Folge, dass politische Entscheidungsträger sich von einigen wenigen Fachexperten abhängig machen.
Schweiz (Prof. Dr. Robert Leu, Universität Bern)
In
der Schweiz ist Risikoselektion ein weitaus größeres Problem als in Deutschland, da die Schweizer Kassen Konglomerate bilden dürfen und private Zusatzversicherungen direkt vertreiben. So erhalten sie
Informationen über den Gesundheitszustand der Versicherten und bieten unter einem Markennamen den Versicherungsschutz zu unterschiedlichen Preisen an: Gute Risiken werden in preisgünstige und
schlechte Risiken in teure Tochtergesellschaften gesteuert. Aus diesen Gründen ist vorgesehen, den bestehenden Risikoausgleich um die Kosten der Klinikaufenthalte des Vorjahres zu ergänzen.
In Deutschland hingegen sind die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Risikoselektion klein. Einen technisch komplizierten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich braucht es daher nicht.
Deutschland (Prof. Dr. Eberhard Wille, Universität Mannheim; Prof. Dr. Volker Ulrich, Dr. Udo Schneider, Universität Bayreuth)
Jedes der bekannten morbiditätsbasierten
Risikostrukturausgleichs-Modelle berücksichtigt kurative Behandlungsdaten und verringert damit die Anreize der Krankenkassen, die Prävention zu fördern und in die Vermeidung von Krankheiten zu
investieren.
Der in Deutschland praktizierte RSA ist bereits morbiditätsorientiert. Er hat zu einer erheblichen Reduktion der Beitragssatzspannen geführt und ermöglicht
Effizienzanstrengungen der Kassen, da er an wenigen Ausgleichsmerkmalen ausgerichtet ist.
Unter Wettbewerbsaspekten stellt die Erweiterung des RSA den falschen Weg dar. Solange den Kassen
keine weiteren Wettbewerbsparameter an die Hand gegeben werden, können sie sich keine Wettbewerbsvorteile in Form von Kosteneinsparungen und Qualitätsverbesserungen erarbeiten. Da trotz aller
Anstrengungen zur Schaffung schlanker Organisationsstrukturen der finanzielle Spielraum für Effizienzverbesserungen gering bleibt, dominiert das Streben nach einer Erhöhung der empfangenen bzw. einer
Senkung der geleisteten RSA-Zahlungen (so genannte Rent-Seeking-Effekte).
Zentrale Elemente eines echten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen könnten folgende Parameter umfassen: mehr
Handlungsmöglichkeiten für die Kassen auf der Beschaffungs- und der Nachfrageseite (mehr Vertragswettbewerb, Sicherstellungsauftrag, Qualität der Leistungserbringung, Ausdifferenzierung des
Leistungskatalogs etc.); Beschränkung des RSA auf zentrale, vergleichsweise einfach zu erfassende morbiditätsorientierte Merkmale; Kombination des RSA mit einem Rückversicherungsmodell.
Die
Unterlagen zur Pressekonferenz stehen auf der Homepage der TK zum Download zur Verfügung.
URL: www.deutsche-versicherungsboerse.de/pressespiegel/Risikostrukturausgleich-Deutsche-%DCbergr%FCndlichkeit-f%FChrt-in-die-falsche-Richtung-ps_2786.html