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31.08.2006 - dvb-Presseservice

Standort Deutschland: "Politik muss handeln"

Fünf Maßnahmen braucht Deutschland nach Ansicht der Volkswirte von Allianz und Dresdner Bank, um sein Wachstum zu steigern und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Allianz.com News sprach mit dem Bereichsleiter Armin Unterberg.

Allianz.com News: Herr Dr. Unterberg, wie kann Deutschland in den nächsten 20 Jahren wettbewerbsfähig bleiben?

Unterberg: Wir müssen vor allem unsere Wachstums- und Beschäftigungsprobleme lösen. Dazu brauchen wir mindestens zwei Prozent mehr Wachstum. Das ist möglich, wie zum Beispiel Großbritannien, Spanien und Irland zeigen.

Dabei gilt eine einfache Faustformel: Ein Prozentpunkt zusätzliches Wachstum schafft jährlich 300.000 bis 400.000 mehr Erwerbstätige. Ein solches Ziel zu erreichen, ist bei einigermaßen günstigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht utopisch, es erfordert aber die Bereitschaft der Politik und der Gesellschaft, in einigen wichtigen Feldern rasch zu handeln.

Was sollte konkret passieren?   
   
Unterberg: Wir erachten fünf Maßnahmen für wichtig: Die Bundesregierung sollte die Unternehmenssteuern reformieren und eine Abgeltungssteuer einführen. Diese Maßnahmen wären sofort wirksam und lassen sich sogar relativ einfach umsetzen.

Eher langfristiger Natur, aber mindestens ebenso wichtig sind der Umbau der sozialen Sicherungssysteme, Verbesserungen am Arbeitsmarkt und die Mobilisierung brachliegender Bildungsreserven.

Was fordern Sie bei der Unternehmensbesteuerung?   
   
Unterberg: Die Unternehmenssteuern sollten so reformiert werden, dass wir bei der Steuerbelastung der Unternehmen wenigstens wieder im europäischen Mittelfeld landen.

Erster Schritt wäre die Senkung der Gesamtbelastung auf 25 Prozent oder darunter. Damit wäre der Wirtschaftsstandort Deutschland unter Berücksichtigung anderer Faktoren wie Infrastruktur und Ausbildungsstand wieder wettbewerbsfähig.

Was bringt die Einführung der Abgeltungssteuer auf sämtliche Kapitaleinkünfte?   
   
Unterberg: Die Einführung einer Abgeltungssteuer von 20 Prozent wäre nicht nur ein Beitrag zur Steuervereinfachung. Da sie meist niedriger liegt als die aktuelle Einkommenssteuer von bis zu 42 Prozent, würde sie auch den Abfluss von Kapital ins Ausland verhindern: Wir bauen nicht mehr dort, sondern hier bei uns den Kapitalstock auf. Österreich hat mit diesem Modell gute Erfahrungen gesammelt.

Ihr dritter Punkt, Reform der sozialen Sicherungssysteme, klingt für viele bedrohlich…   
   
Unterberg: Das stimmt. Allerdings sichert auch hier der Umbau letztlich die Zukunft. Nur mit Kapitaldeckung können wir Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung angesichts der demografischen Entwicklung langfristig finanzieren. "Bürgerversicherung" oder Anhebung der Bemessungsgrundlage wären Fehlentscheidungen.

Die Politik muss den Reformverzagten deutlich sagen: Die Sicherheit der bestehenden Transfersysteme trügt. Wer sich immer nur auf den Staat verlässt, schadet letztlich nicht nur den Interessen der Gesellschaft, sondern auch seinen eigenen: Denn der Staat wird so immer schwächer und seine Leistungen immer geringer. Zukunft lässt sich nur gewinnen mit der Bereitschaft zu Veränderungen, mit dem Mut, eigene Verantwortung zu tragen.

Welche Arbeitsmarktreformen könnten die Arbeitslosigkeit senken?   
   
Unterberg: Der deutsche Arbeitsmarkt ist immer noch überreguliert und zu wenig flexibel. Wir müssen Beschäftigung im Niedriglohnsektor attraktiver und einfacher gestalten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern und die Chancen älterer Arbeitnehmer erhöhen.

Was heißt das konkret?   
   
Unterberg: Wir sollten zum Beispiel den Kombilohn einführen, bei dem niedrige Löhne auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden können. Das Tarifrecht muss flexibler werden, mit einfacheren Öffnungsklauseln.

Die Einführung eines Mindestlohnes wäre falsch. Der wird immer zu hoch angesetzt und drängt einfache Beschäftigung aus dem regulären Arbeitsmarkt.

Warum sehen Sie beim Thema Bildung Handlungsbedarf?   
   
Unterberg: Bildung und Ausbildung, Forschung und Entwicklung sind langfristig die vielleicht wichtigsten Standortfaktoren, die Deutschland keinesfalls vernachlässigen darf. Derzeit besitzt es noch ein gut ausgebildetes Arbeitskräftepotenzial.

Allerdings wachsen unsere Bildungsreserven schon seit geraumer Zeit nicht mehr; ein Drittel der westdeutschen Bevölkerung ist ohne Berufsabschluss, und wir geben insgesamt weniger für Bildungszwecke aus als der OECD-Durchschnitt – das muss sich dringend ändern.

Auch im Berufsleben zehren wir von unseren Reserven. Der schon oft vorhergesagte Fachkräftemangel wird bald bittere Realität sein: Nach Schätzung des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit werden im Jahr 2015 15 Prozent der 35- bis 49-jährigen Erwerbspersonen ohne Berufsausbildung sein.

Was fordern Sie konkret?   
   
Unterberg: Ein Studienabschluss in Deutschland kostet rund 25 Prozent mehr als der internationale Durchschnitt. Dabei wird mit den knappen Mitteln oft unwirtschaftlich umgegangen. Ein Preissystem für unsere Hochschulausbildung würde nicht nur Angebot und Nachfrage besser in Übereinstimmung bringen, sondern fraglos auch zu Kostensenkung und Effizienzsteigerung führen.

Außerdem sollte die Regierung private Begabtenprogramme und Stiftungen sowie Nachhilfeinitiativen stärker fördern und Bildungsaufwendungen steuerlich voll anerkennen. In der Forschung sollten wir noch stärker die Potenziale neuer Technologien nutzen.

Warum ist das Thema Bildung so wichtig?   
   
Unterberg: Menschliche Kenntnisse und Fähigkeiten sind entscheidende Grundlagen von Innovation, technischem Fortschritt, Produktivität und Wirtschaftswachstum. Wohlstand und Wachstum einer Volkswirtschaft hängt auch vom "Faktor Mensch" ab.

Bildungsinvestitionen haben eine hohe langfristige Rendite. Es sollte uns wieder klar werden: Bildung ist der Stoff, aus dem Wohlstand ist. Wir müssen deutlich mehr in die Ausbildung junger Menschen investieren. Das lohnt sich, denn Bildungsausgaben sind Zukunftsinvestitionen.

Investieren wir im Bildungssektor zu wenig, vernachlässigen wir unsere Schulen und Universitäten, so werden wir schmerzlich erfahren, dass wir unser Wohlstandsniveau nicht mehr halten können. Wir verarmen auf Dauer nicht nur geistig, sondern auch materiell.



Economic Research Dresdner Bank AG
Herr Dr. Lorenz Weimann
Tel.: +49.69.263-18737
Fax: +49.69.263-6973
E-Mail: lorenz.weimann@dresdner-bank.com

Allianz Group
Königinstraße 28
80802 München
Deutschland
www.allianz.com/aktuell

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