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08.10.2008 - dvb-Presseservice

Wird sich Europa an der „japanischen Krankheit“ anstecken?

Oktober-Kolumne von Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management

Investoren, denen Ungewissheit zuwider ist, müssen erleichter sein: Eine unbekannte Größe in der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit gib es jetzt weniger, denn die Rezession in Europa scheint sicher zu sein.

Die gegenwärtige globale Kreditkrise – zweifelsohne die schwerste seit 1929 – hat den Konjunkturrutsch deutlich beschleunigt. Eine Rezession, die parallel in allen Industriestaaten auftritt, erscheint unausweichlich. Man bekommt sogar den Eindruck, dass Europa unter Umständen ein noch größeres Opfer der Kreditkrise wird als die USA, obwohl die Misere dort ihren Anfang nahm. Der anhaltende Verfall des Euro gegenüber dem Dollar und das unterdurchschnittliche Abschneiden europäischer Aktien gegenüber US-amerikanischen Titeln scheinen diese Sichtweise zu bestätigen.

Es gibt triftige Argumente dafür, dass die europäische Rezession insofern der Japankrise Mitte der 1990er Jahre ähnelt, als dass sie sich wahrscheinlich eine ganze Weile hinziehen wird. Eines der prägenden Merkmale der Japankrise war die extrem langsame Rekapitalisierung des Bankensystems, ein Fehler, den man in Europa anscheinend nicht wiederholen will. Daher die jüngsten Rettungsaktionen europäischer Regierungen. Gleichwohl deutet einiges darauf hin, dass Europa in anderer Weise von den Symptomen der japanischen Krankheit heimgesucht wird. So reagierten die politischen Entscheidungsträger in Europa langsamer auf den Abschwung, als dies in den Vereinigten Staaten – trotz des derzeitigen politischen Vakuums – der Fall war. Wir glauben zwar nicht, dass Europa ein ganzes Jahrzehnt der Rezession vor sich hat. Mehrere Jahre Konjunkturflaute sind aber durchaus vorstellbar. Die US-Wirtschaft wird sich dagegen früher erholen.

Warum haben die USA einen solchen Vorsprung? Zum einen liegt das daran, dass die USA schon einen größeren Teil des Abwärtszyklus hinter sich haben als Europa, und zum anderen an ihrer höheren wirtschaftspolitischen Flexibilität. Zudem sind die Häuserpreise in den USA bereits auf ein Durchschnittsniveau gefallen. Das ist in Europa noch nicht passiert. Außerdem agiert die US-Notenbank Federal Reserve proaktiver als die EZB, indem sie ein zinspolitisches Umfeld gestaltet (niedrige Kurzfristsätze und höhere Langfristzinsen), das den Banken eine Steigerung ihrer Gewinnspannen und ihrer Profitabilität ermöglicht. Dies dürfte die Sanierung ihrer angeschlagenen Bilanzen beschleunigen.

Die Zeitlupenreaktion der EZB könnte dagegen zur Folge haben, dass europäische Banken ihre Kreditvergabekriterien über längere Zeit verschärfen. Zudem zeigen europäische Unternehmen im Durchschnitt auch bei der Kostendämpfung weniger Initiative als ihre amerikanischen Pendants. Aufgrund des relativen Mangels an Arbeitskräften in unserer alternden Bevölkerung (ähnlich wie in Japan in den 1990er Jahren) zögern Unternehmer mit betriebsbedingten Kündigungen, da sich Neueinstellungen als schwierig erweisen könnten, wenn es wieder aufwärts geht. Und schließlich ist Europa keine einheitliche Region. Die vielfältigen nationalen Lösungsansätze zum Umgang mit der Bankenkrise werden zwangsläufig dazu führen, dass einige Länder die Maastricht-Kriterien für den Euro stärker unterlaufen als andere. Insgesamt wird dies die Entwicklung in der Eurozone belasten und der EZB einige Kopfschmerzen bereiten.

Die Finanzmärkte haben bereits damit begonnen, auf das Szenario einer globalen Rezession mit atemberaubendem Tempo zu reagieren. Abgestoßen werden zyklische Werte, Rohstofftitel, Titel von den Emerging Markets und risikoreiche Anleihen. Gegenwärtig preisen sowohl die Aktienmärkte als auch die Anleihemärkte in vollem Umfang eine „normale“ Verbraucherrezession ein (ähnlich jener Anfang der 1980er und 1990er Jahre). Der anhaltende Kursrutsch an den Aktienmärkten lässt sogar eine anstehende Depression vermuten, bei der die Gewinne um über 30 Prozent fallen und die Firmenpleiten ein bisher noch nie da gewesenes Ausmaß erreichen. Bislang halten wir ein solches Szenario aber für nicht sehr wahrscheinlich. Immerhin sind die Unternehmensbilanzen immer noch gesund und die Inflation geht zurück, so dass die EZB bald die Zinsen senken kann. Trotzdem müssen wir uns damit abfinden, dass die Rezession länger ausfallen wird, als dies normalerweise in Nachkriegszeiten der Fall ist (rund zehn Monate). Wir sind der Meinung, dass der Tiefstpunkt dieser Baisse noch in diesem Jahr erreicht wird und es dann im nächsten Jahr zu einer langsamen Erholung kommt.



Frau Birgit Stocker
Tel.: + 49 69 5095 49-15
E-Mail: Birgit.Stocker@ingim.com

ING Investment Management
Westhafenplatz 15
60327 Frankfurt
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http://www.ing-investments.de/

Über ING Investment Management:

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING-Gruppe. Mit annähernd Euro 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern gehört die ING Investment Management (ING IM) weltweit zu den Top 30 im Asset Management. ING IM Europe hat Niederlassungen in 15 europäischen Ländern mit ca. 141 Milliarden Euro Assets under Management. ING Investment Management bietet Investmentlösungen für den ING Unternehmensverbund, für ING Versicherungsunternehmen, institutionelle Kunden und Vertriebspartner. Die breite Palette von Investment-Strategien in Kombination mit den Distributionskanälen der ING-Gruppe zu Privatanlegern und institutionellen Anlegern, ermöglicht es ING Investment Management, allen seinen Kunden, sowohl in Europa als auch auf globaler Ebene, integrierte Lösungen im Finanzdienstleistungsbereich anzubieten. Stand Q2 2008.

URL: www.deutsche-versicherungsboerse.de/pressespiegel/Wird-sich-Europa-an-der-japanischen-Krankheit-anstecken-ps_11360.html