IDD greift in alle Unternehmensbereiche ein

Über 100 Gäste begrüßte Christian Otten, Fachkreisleiter der VVB – Vereinigung der Versicherungs‐Betriebswirte e.V. in der Hauptverwaltung der Signal Iduna Versicherungen in Dortmund. „Das Thema IDD und ihre Auswirkungen auf den Vertrieb hat die Branche elektrisiert. Erstmals bei einer Fachkreissitzung musste ich eine Reihe Anmeldungen aus Platzgründen ablehnen“, so Otten.

Erheblicher Zeitdruck

Die Versicherungsunternehmen stehen bei der Umsetzung unter einem enormen Zeitdruck, machten Ulrich Scheele, Generalbevollmächtigter Vertrieb, und Udo Kallen, Bereichsleiter Außendienstorganisation der Signal Iduna deutlich. Keine zwölf Monate mehr bleiben, bis am 23.2.2018 die von Brüssel gesetzte Umsetzungsfrist abläuft.

Die Signal Iduna hat dazu im vergangenen Jahr ein Projekt gestartet. Derzeit läuft noch eine Gap‐Analyse, mit der die Betroffenheit der verschiedensten Unternehmensbereiche überprüft wird. Und die reicht weit, so Kallen. Dies beginne bereits mit den relevanten Personen. Neben den in unterschiedlicher Weise betroffenen Vermittler‐Arten muss sich auch eine große Zahl von Angestellten im Außen‐ und Innendienst beispielsweise mit den Aus‐ und Weiterbildungsanforderungen der Richtlinie auseinandersetzen.

Neuer Produktgenehmigungsprozess

Auch der Produktgenehmigungs‐ und ‐beaufsichtigungsprozess dürfe nicht unterschätzt werden, warnte Kallen. Hiervon sind alle Spartenbereiche betroffen, die sich mit Fragen auseinandersetzen müssen wie beispielsweise dem Detaillierungsgrad einer Zielmarktdefinition für neue Versicherungsprodukte, wie Teilnehmerfragen deutlich machten. Damit wiederum hängt der Beratungsprozess zusammen. Beratung werde künftig nur noch mit Technik sinnvoll und richtliniengerecht erfolgen können, so Kallen. Besonders die Vorschriften für Versicherungsanlageprodukte, die wohl auf alle Arten der Lebensversicherung ausstrahlen dürften, stellen das Vertriebsmanagement vor Herausforderungen.

Ein weiteres Thema ist die Vertriebssteuerung. Zwar scheint die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA als Beratungsinstanz der EU‐Kommission von dem Gedanken abgerückt zu sein, Abschlussprovisionen in Bausch und Bogen für problematisch zu erklären. Jedenfalls in Verbindung mit angemessenen Stornohaftungsregelungen sollen sie weiter eingesetzt werden können. Aber das ist bei weitem nicht die einzige Frage, mit der sich das Vertriebsmanagement eines Versicherers auseinandersetzen muss, machte Mitveranstalter Prof. Dr. Matthias Beenken von der Fachhochschule Dortmund in seinem Überblick deutlich. Neben den Versicherern müssen auch Vermittler ihre Anreiz‐ und Vergütungssysteme überprüfen, mit denen sie ihre Mitarbeiter und Untervermittler steuern.

Gewachsene Strukturen und Prozesse überprüfen

Bei der Signal Iduna jedenfalls werden vier Teilprojekte die Themen Verträge & Vergütung, Produktgenehmigungsprozess, Beratungsprozess und Personalentwicklung bis zum Herbst konkretisieren müssen. Anschließend ist ein Testing und ab Jahresende der Rollout vorgesehen.

Aber Referent Kallen machte auch deutlich, dass er keineswegs nur Kosten und Belastungen in der IDD‐Umsetzung sieht. Vielmehr biete sie die Chance, gewachsene Strukturen und Prozesse zu überprüfen und kundenorientiert neu zu gestalten. Dass dies jedenfalls im Fall der Signal Iduna zeitlich nahezu parallel mit deren Zukunftsprogramm ZUP läuft, sah er positiv. Als Ergebnis von ZUP sei ohnehin die Kundenzentrierung ein Kernthema. Hierauf arbeitet auch die neu aufgesetzte Omnikanalstrategie hin, mit deren Hilfe der Kunde an den verschiedensten Kontaktpunkten teils automatisiert, teils durch eine verbesserte persönliche Beratung erreicht werden soll. „Wie glauben, das ist eine gute Ausgangslage“, gab sich Kallen überzeugt.

Werden Nettopolicen verschwinden?

Auch der Finanzmarktwächter wird die IDD‐Umsetzung mit großem Interesse beobachten, bekannte Sandra Klug, die bei der Verbraucherzentrale Hamburg den Marktwächter Versicherungen leitet. Insbesondere die Neusortierung des Vertriebs von Nettopolicen, Durchleitung von Provisionen beim Bruttopolicenvertrieb durch Versicherungsberater und das Provisionsabgabeverbot seien Ansatzpunkte für eine kritische Marktbegleitung. So fragte Klug unter anderem, ob „die eh schon seltenen Nettopolicen überhaupt noch angeboten werden“, wobei diese ihrer Erfahrung nach gar nicht immer besser geeignet sind für die Kunden.

Wenig glücklich zeigte Klug sich mit der unterschiedlichen Regulierung von Anlage‐ und Versicherungsanlageprodukten. Eigentlich sollten die beiden Europäischen Richtlinien MiFID und IDD in diesem Punkt für eine Gleichbehandlung sorgen. Doch während nach der MiFID Provisionen nur noch zulässig sind, wenn sie einen echten Mehrwert für den Kunden bedeuten, und dann offenzulegen sind, reicht es bei der IDD, dass diese keinen Nachteil darstellen. Und eine Offenlegungspflicht fehlt ebenfalls. Hier befürchtet Klug eine Angebotsverschiebung von Anlagen hin zu schwächer regulierten Versicherungen.

Kritisch gesehen werden auch die Ausnahmen bei Restschuldversicherungen oder die geplante, erleichterte Verzichtsmöglichkeit bei Fernabsatzverträgen. Klug machte aber deutlich, dass der Finanzmarktwächter auf einen konstruktiven Dialog mit der Branche Wert legt und keineswegs stets sofort die Klage‐Keule schwingen werde.

Erfüllt die deutsche Beratungspflicht die IDDAnforderung?

Rechtsanwalt Hans‐Ludger Sandkühler kritisierte in seinem Beitrag, dass die Bundesregierung die Beratungs‐ und Dokumentationspflichten weitgehend unangetastet lassen will. Dabei weiche die IDD erheblich von der deutschen Rechtslage ab. Beratung sei in der Richtlinien‐Definition des Versicherungsvertriebs nur eines von mehreren Bestandteilen. Die IDD geht davon aus, dass es keineswegs immer Beratung in einem Vertriebsprozess geben muss.

Allerdings verlange sie, dass stets die Wünsche und Bedürfnisse eines Kunden ermittelt werden. Der Versicherer bzw. Vermittler muss dann sicherstellen, dass das Angebot auch den Wünschen und Bedürfnissen entspricht, und dazu „objektive Informationen“ an den Kunden geben. Der Begriff Beratung sieht höhere Anforderungen vor als die derzeitige deutsche Beratungspflicht, so Sandkühler. So muss ein Anbieter, wenn er im Sinn der Richtlinie berät, dem Kunden eine persönliche Empfehlung abgeben, warum das Produkt den Wünschen und Bedürfnissen am besten entspricht.

Bei Versicherungsanlageprodukten werde zusätzlich eine Angemessenheitsprüfung verlangt, und zwar selbst dann, wenn gar keine Beratung im Sinn der Richtlinie angeboten wird. Nur bei nichtkomplexen Versicherungsanlageprodukten könnte auf die Angemessenheitsprüfung verzichtet werden. Wird aber Beratung angeboten, dann sind weiter eine Geeignetheitsprüfung und eine entsprechende Erklärung gefordert, so Sandkühler. „Es ist deutlich zu erkennen, dass sich die Wohlverhaltenspflichten der Versicherungsvermittler im Bereich der Versicherungsanlageprodukte denen der Anlageberater bzw. Finanzanlagenvermittler annähern.“

Christian Otten & Matthias Beenken