Verhaltenskodex des GDV

Der GDV zeigt sich überzeugt, dass verbraucherpolitische Standards im Finanzsektor künftig eine erheblich größere Bedeutung haben werden als in der Vergangenheit. So jedenfalls der GDV-Präsident Rolf-Peter Hoenen anlässlich der Jahrestagung des GDV im November 2010, auf der Hoenen einen neuen Verhaltenskodex vorstellte, den der GDV für den Vertrieb verankern möchte.

Bemerkenswert ist Rolf-Peter Hoenens Begründung: Die Erkenntnis sei nicht nur dem politischem Druck geschuldet, sondern der Erkenntnis, dass verbraucherpolitische Standards sich zu einem immer wichtiger werdenden Erfolgsfaktor für die Kundengewinnung und -bindung entwickeln würden. Und dann noch deutlicher: Ziel des Verhaltenskodex sei, die Qualität beim Vertrieb von Versicherungsprodukten zu sichern und Praktiken entgegenzuwirken, die gegen Kundeninteressen gehen. Deshalb habe der GDV seinen Anspruch an eine gute Beratung in zehn Punkten zusammengefasst, die den Unternehmen zukünftig als Leitlinien für die Zusammenarbeit mit ihren Versicherungsvermittlern dienen sollen. Bloßer Reflex des GDV auf den politischen Druck oder tatsächlich eine Qualitätsoffensive?

Allgemeines

In den einleitenden Vorbemerkungen der veröffentlichten Leitsätze stellt der GDV zunächst (zutreffend) fest, dass Versicherungsschutz einerseits für die Daseinsvorsorge der Verbraucher wichtig, andererseits aber wegen seiner Komplexität in hohem Maße erklärungsbedürftig sei. Infolgedessen sei neben der Produktqualität insbesondere die hohe Qualität der Versicherungsvermittler als Bindeglied zwischen Versicherungsunternehmen und Kunden wichtige Voraussetzung für die Kundenzufriedenheit. Diese Qualität müssten Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler gewährleisten. Der Gesetzgeber habe dazu mit seinen Reformen zum VVG und zur Versicherungsvermittlung die entsprechenden Maßstäbe im Finanzdienstleistungsbereich gesetzt. Dieser Standard könne aber nur gewährleistet werden, wenn akzeptiert werde, dass gute Beratung Geld koste. Leider gibt sich der GDV hier sehr zurückhaltend.

Der Einstieg in eine Diskussion der Vergütungssysteme wird bewusst vermieden. Im Einzelnen sollen für die Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern folgende Leitsätze gelten:


Klare und verständliche Versicherungsprodukte – Angaben über mögliche künftige Gesamtleistungen basieren auf standardisierten und fairen Verfahren

Das Petitum des GDV: Die wichtigsten Merkmale des Versicherungsschutzes inklusive der Ausschlüsse sollen dem Kunden möglichst einfach und verständlich aufgezeigt werden. Insbesondere bei lang laufenden Altersvorsorgeprodukten sollen Annahmen zur künftigen Entwicklung nach einheitlichen Standards transparent dargestellt werden, um den Kunden eine individuelle Entscheidung zu ermöglichen. Eigentlich sollte die VVG-Reform genau dies gewährleisten. Bekanntermaßen hat der Gesetzgeber mit dem zurzeit üblichen Informationsoverflow aber genau das Gegenteil erreicht. IT-organisierte Textform erschlägt den Kunden. Inhalte werden nicht wahrgenommen. Also eine hehre und unterstützungswerte Zielsetzung. Leider gibt es noch keine Ideen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Der Umsetzungsspielraum der aktuellen gesetzlichen Vorgaben ist denkbar gering. Es müssen also konkrete Vorschläge aus der Praxis kommen, wie dem Informationsbedürfnis des Kunden einfach entsprochen werden kann. Wenn die Zielsetzung ernst gemeint ist, muss der GDV nachlegen.


Beachtung des Kundeninteresses sowohl bei der Organisation des Vertriebes als auch bei der Beratung und Vermittlung

Um das Vertrauen des Verbrauchers zu gewinnen und zu bewahren, sollen sich Versicherungsunternehmen und Vertrieb an den Belangen des Kunden orientieren und sich daran ausrichten. Schon immer stand der Kunde im Mittelpunkt der vertrieblichen Aktivitäten der Versicherungswirtschaft. Neu ist, dass die vertrieblichen Interessen und die Vertriebssteuerung dem Bedarf des Kunden nicht (mehr) entgegenlaufen dürfen, sondern sich an den Kundeninteressen zu orientieren haben. Also ein klares Bekenntnis zum Paradigmenwechsel, der allerdings vollzogen werden muss. Gelingt die Umsetzung in der Praxis, dürften sogar Verbraucherschützer daran Gefallen finden, wenn sie nicht aus „grundsätzlichen Erwägungen“ das Bezahlsystem brandmarken und den Paradigmenwechsel ignorieren.


Bedarfsgerechte Beratung des Kunden

Das neue VVG verpflichtet Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler auf die Wünsche und Bedürfnisse des Versicherungsnehmers einzugehen. Damit hat der Gesetzgeber den früher üblichen Produktverkauf verabschiedet und stattdessen die Pflicht zur bedarfsgerechten Beratung eingeführt. Wenn sich der GDV zur Analyse und Bewertung der Wünsche und Bedürfnisse des Kunden bekennt, könnte man dies mit Verweis auf die gesetzlichen Pflichten als selbstverständliches Lippenbekenntnis abtun. Angesichts der Vertriebspraktiken mancher Unternehmen indiziert dieser Leitsatz aber eine neue Qualität. Sie muss nur noch mit Leben gefüllt werden.


Beratungsdokumentation bei Abschluss

Nach dem erklärten Verständnis des GDV kommt der ordnungsgemäßen Dokumentation des Beratungsgesprächs eine besondere Bedeutung zu. Der GDV stellt zudem klar, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers ein Verzicht des Kunden auf die Dokumentation immer nur als Ausnahme in Betracht kommen kann. Leider fehlt eine korrespondierende und ebenso klare Aussage zum Beratungsverzicht, möglicherweise ein Versehen.


Beratung des Kunden auch nach Vertragsschluss

Für Makler selbstverständlich, wenn auch in der konkreten Ausgestaltung umstritten, ist die Beratung des Kunden nach Vertragsschluss. Unabhängig von der gesetzlichen Verpflichtung für Versicherungsunternehmen postuliert der GDV aus Gründen der Nachhaltigkeit der Kundenbeziehung die Beratung auch nach Vertragsschluss, soweit ein Anlass für eine Beratung erkennbar ist.


Bei Abwerbungen bzw. Umdeckungen von Versicherungsverträgen ist das Kundeninteresse zu beachten

Die Abwerbung von Versicherungsverträgen soll nur mit wettbewerbskonformen Mitteln zulässig sein. Das war schon immer so. Insgesamt sehr vorsichtige Formulierungen. Offenbar ein heikles Thema für den GDV. Die Abwerbung von Lebens- oder Krankenversicherungen könne für den Kunden von Nachteil sein. Deshalb sei der Kunde über die Nachteile aufzuklären. Das ist sehr halbherzig. Wieso nur aufklären? Warum nicht unterlassen?


Eindeutige und klare Legitimation von Vertretern, Maklern und Beratern gegenüber dem Kunden

Dies entspricht der Erstinformationspflicht nach der VersVermV. Soll diese nun mit Leben gefüllt werden? Noch immer gibt es zahlreiche Vermittler, die unter Tarnkappenbezeichnungen wie Vermögensberater oder Finanzoptimierer ihren wahren (Vertreter-)status verschleiern.


Hoher Stellenwert der Vermittlerqualifikation

Die Ausführungen zur Vermittlerqualifikation entsprechen dem Selbstverständnis der Versicherungswirtschaft. Die Versicherungsunternehmen stellen „eine hochwertige Ausbildung der Vermittler“ sicher. Kein Wort, warum im „Außendienst“ immer noch nicht Qualifikationen wie Versicherungskaufmann/-frau selbstverständlich sind.


Bei Vereinbarungen über Zusatzvergütungen ist die Unabhängigkeit des Versicherungsmaklers so zu beachten, dass das Kundeninteresse nicht beeinträchtigt wird

Wie schon bei den allgemeinen Vorbemerkungen geht der GDV das Thema Vergütung nur mit ganz spitzen Fingern an. Es wird lediglich allgemein festgestellt, dass umsatzbezogene Zusatzvergütungen die Unabhängigkeit des Versicherungsmaklers „tangieren“ können. Kein Wort zu Provisionsexzessen à la MEG und Co. Kein Wort zum Provisionsgeschacher der Vertriebe. Kürzlich ließ der Vorstand eines strukturierten Versicherungsmaklervertriebes(was für ein Wort) das Handelsblatt wissen, es sei „branchenüblich“, wenn ein Versicherungsmakler sich von Versicherern Vorschüsse auf noch nicht vermitteltes Lebensgeschäft auszahlen lasse. Versicherungsmakler können das nur empört zur Kenntnis nehmen, müssen aber mit den Reflexen von Verbrauchern und Politikern leben. Hier hätte man sich vom GDV deutlich mehr Klarheit gewünscht.


Hinweis auf das bestehende Ombudsmannsystem für Versicherungen

Vermittler sind ohnehin verpflichtet, im Rahmen der Erstinformation auf die Ombudsleute hinzuweisen. Insoweit also keine neuen Erkenntnisse.

Fazit

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass der GDV das Thema Verhaltenskodex im Vertrieb aufgegriffen hat. Sicherlich hätte man sich an der einen oder anderen Stelle deutlichere Worte gewünscht. Das war aber angesichts der Struktur des GDV nicht zu erwarten. Wichtig ist, dass der GDV das Thema überhaupt besetzt und damit eine Diskussion angeschoben hat. Ob es sich dabei nur um einen Reflex auf den politischen Druck oder tatsächlich um eine Qualitätsoffensive handelt, wird sich zeigen. Das wird wesentlich davon abhängen, ob sich die Mehrheit der Versicherer die Inhalte und Werte des Verhaltenskodex zu Eigen macht. Und dann müssen den Worten noch Taten folgen. Sonst haben wir noch eine weitere Parallelgesellschaft: den Verhaltenskodex und die Praxis.

Quellenhinweis

Hans-Ludger Sandkühler, Rechtsanwalt in der Kanzlei Wolter - Hoppenberg

Mit freundlicher Genehmigung von AssCompact

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