Die Zukunft der Versicherungswirtschaft

Prof. Dr. Florian Elert

Innovationstreiber am Versicherungsstandort Hamburg

Prof. Dr. Florian Elert
HSBA

Erste Lektion des Tages: Agilität bedeutet Bewegsamkeit im Management. Und beweglich ist man in Turnschuhen, ca. 50% der Teilnehmer waren agil mit weißen Sneakern ausgestattet. Nächste Lektion: Innovation erfordert zwingend englische Bezeichnungen, also Sustainability statt Nachhaltigkeit und Consultant statt Berater.

Dr. Christian Bielefeld, Vorstand der Signal Iduna, gab einen Einblick in die neue agile Organisation, die der Konzern seit einiger Zeit umsetzt: Bereits 2016 ist ein Team zur "Leadership Journey" nach Berlin gefahren, hat die Krawatten abgenommen und in Turnschuhen die Agilität gestartet. Zwei Jahre später waren es 50 agile Mitarbeiter und heute sind es bereits 1.000. Ziel ist es, die Organisation konsequent auf Kundenanliegen auszurichten. Abteilungsleiter gibt es nicht mehr, dafür wurden Tribes, Squads, Chapter und IT-Areas geschaffen, die dann aber cross-funktional wirken. Kommentar eines älteren Herrn mit Schnürschuhen, Maklerchef eines regionalen Versicherers: "Chapter wie im Motorradclub?" Die Strafe folgte auf dem Fuße, denn seine junge Mitarbeiterin meinte: "Toller Laden, da will ich arbeiten." Und auch Dr. Bielefeld gab offen zu: Die Umstellung gefiel nicht allen, die Fluktuation erhöhte sich. Gleichzeitig wurde der Konzern interessanter für junge IT-Talente, die sich von der Methodik angezogen fühlen. Das Vorhaben muss sich an harten Zahlen wie Beitragswachstum und Kundenzufriedenheit messen lassen und hat sich bewährt.

Das Bild täuscht - die Veranstaltung war ausgebucht.

Die nächste Key-Note kam von Dr. Pickel, Vorstand der E+S Rückversicherung, dem deutschen Kanal der Hannover Rück. Ein wirklich erfrischender Vortrag, als er das erste Problem des Rückversicherers erklärte: Die Leute werden immer reicher, somit werden die zu versichernden Vermögenswerte immer größer, trotz der Inflation. Eine weitere Herausforderung: Die Fettleibigkeit der Menschen. Auch für einen internationalen Rückversicherer gilt: Andere Länder, andere Sitten. Die Chinesen bejubeln es beispielsweise nicht, wenn die Zeichnung von Risiken von Steinkohle-Anlagen kritisch gesehen wird, da fehlt der Sinn für Sustainability. Dabei seien die Chinesen Trendsetter in der Gestaltung von Versicherungsprodukten. Herausforderung Cyberrisiken: Gerade im Mittelstand ist das ein echtes Risiko, hier ist vor allem Prävention angesagt. Die Analyse der Rückversicherer ergab, dass gerade im Mittelstand einfach keine Updates durchgeführt werden. Der Versicherungsbedarf in der Breite ist erkannt, im Markt derzeit jedoch noch nicht spürbar. Sein Fazit: Cyber ist eine Herausforderung, die dauerhaft bestehen bleibt, damit muss man sich beschäftigen. Und Prävention ist ein Thema, nicht nur im Bereich Cyber. Die asiatischen Versicherer rücken viel näher an den Kunden heran, in Europa ist deutlicher Nachholbedarf erkennbar. Zusammenfassung des Managers: "Das Nichtauswerten von vorhandenen Kundendaten ist die größte Geldvernichtung". Seine Anmerkungen zur Inflation:  Die Lebensversicherer freuen sich, die Sachversicherer eher weniger. In der Wohngebäude kommen zweistellige Indexsteigerungen auf uns zu, das wird für einige eine bittere Überraschung bringen. Die VVaG werden damit besser klarkommen als die börsennotierten Gesellschaften. Interessant auch seine Bemerkung zur Sustainability: Es wird zweifelsohne ein Marktstandard werden, aber zahlen wird der Kunde dafür nicht.

Innovationstreiber

Innovationstreiber

Sneaker, vorzugsweise in weiß

Bei der AXA ist die Digitalisierung nicht nur im Vertrieb angekommen. Christian Pape, Tribe Lead Omni-Channel, stellte die provokante Feststellung in den Raum, dass die Quants einen besseren Blick auf die Risiken als die Aktuare haben. Quants ist Finanzjargon für Quantitative Analyst, hochbegabte Mathematiker, die in großen Datenbeständen Muster erkennen und daraus Strategien ableiten. Und es funktioniert, so haben die Predictive Sales Analysen zu einer Erhöhung der Abschlußquote in Unfall um 21% geführt. Das hat dann auch den Außendienst überzeugt, die Digitalisierung anzunehmen. Deren Kalender sind online, die Kunden können sich selbst Termine buchen. Für die digitale Transformation schafft die AXA ein innovationsfreundliches Klima, den "New Way of Working", der bereits an allen Standorten eingeführt wurde. Open Space schafft mehr Flexibilität für bedarfsgerechtes Arbeiten und bietet Kreativ- und Erholungsflächen. Am Beispiel zweier Kundentypen machte Pape deutlich, wie flexibel die AXA auf die Unterschiede reagiert: Da ist der typische Gen Z-Kunde, der Mobility-as-a-Service bevorzugt und auf die gelebten Werte des Versicherers achtet, weil Purpose und mentale Gesundheit für ihn im Vordergrund stehen. Und der ältere Kunde, der den persönlichen Kontakt bevorzugt, ein eigenes Auto vor der Tür stehen hat und für seine Entscheidung noch Produkt und Leistung bewertet. Der digitale Vertriebskanal muss ausreichend durchlässig sein, die unterschiedlichen Kunden in ihren jeweiligen Präferenzen abzuholen. Sein Fazit, auch mit Blick auf die Pandemie: Die Vermittler werden größer und professioneller, ihr robustes Geschäftsmodell hat der Krise ohne Einbußen standgehalten.

"Wir sind bereits eine moderne Branche."

Eric Bussert,
HanseMerkur Versicherungsgruppe

In der Abschlußdiskussion verriet Andreas Schmid, Vorstand der Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG seine Wettbewerbsfaktoren der Zukunft: Well educated Potentials und mehr Menschen mit Migrationshintergrund für die Branche gewinnen, ältere Mitarbeiter von der Rente mit 63 abhalten. Eric Bussert, Vertriebsvorstand der HanseMerkur, widersprach: Seine Vermittler dürfen so lange bleiben wie sie wollen, viele Vermittler haben Migrationshintergrund und die Top-Verkäufer verdienen bereits mit 30 Jahren mehr als die Vorstände. Zum "well educated" meinte er: Wir suchen Leute, die gut mit anderen Menschen sprechen können, eine Ausbildung haben, sich anstrengen können und dauerhaft fleißig sind. Und daran scheitere es ja schon. Aber das wahrgenommene Bild der Versicherer als Arbeitgeber sei falsch: Die Branche ist bereits modern, die Produktivität im Ausschließlichkeitsvertrieb hat sich in den letzten Jahren dank der Technologie verdoppelt. Und trotz aller Digitalisierung ist er davon überzeugt, dass alle Vertriebswege in der heutigen Form erhalten bleiben, trotz anderslautender Studien von Beratern und neuen Begriffen wie Squads und Tribes. Da sprach ein hanseatischer Kaufmann.

Neben den ausführlichen Projektvorstellungen wurden auch Innovationen durch Startups vorgestellt: Prof. Elert hat insgesamt 12 Startup-Unternehmen nach Hamburg geholt, die ihre Produkte und Projekte in kurzen Pitches vorstellten. Darunter waren auch etablierte Startups wie Google, Amazon und Meta, die über milliardenschwere IT-Projekte berichteten. Interessant waren aber gerade die kleineren Vorhaben wie z.B. die digitale Versicherungskarte für die mobile Wallet, die das Unternehmen Miss Moneypenny für die AdmiralDirekt umgesetzt hat und im Gegensatz zur konventionellen App sehr intensiv von den Versicherungskunden genutzt wird. Oder SkenData, die mit künstlicher Intelligenz den Wert14 ermitteln und in Zukunft auch die Sustainability von Gebäuden bewerten können. Denn es wird verpflichtend für die Versicherer, ihren Bestand unter diesem Aspekt zu klassifizieren. Das ist überflüssige Regulatorik im Hauruck-Verfahren, stellte die Diskussionsrunde zum Abschluß fest, die Kunden und Mitarbeiter verlangen ohnehin danach.

Neben den vielen Innovationen kamen auch die guten Gespräche unter Kollegen nicht zu kurz, daher sollte man den 4. Hamburg Insurance Innovation Day am 31.08.2023 bereits heute im Kalender vermerken.