Run-Off statt Wachstum: Warum Lebensversicherer ihre Bestände verkaufen

Im Digital Insurance Podcast von Jonas Pieler erklärt Peter-Henrik Blum-Barth, Vorstand Kapitalanlage der Frankfurter Lebensgruppe, warum die Konsolidierung der Lebensversicherungsbranche durch Run-Off keine Bedrohung für Kunden ist, sondern Vorteile für alle schafft. Ein Gespräch über ein besonderes Geschäftsmodell und die Gründe, warum klassische Versicherer zunehmend ihre Altbestände abgeben.

Das Geschäftsmodell der Run-Off-Plattform

Die Frankfurter Lebensgruppe existiert seit zehn Jahren und hat sich auf die Konsolidierung geschlossener Lebensversicherungsbestände spezialisiert. Mit 13 Milliarden Euro Assets under Management, 650.000 Verträgen aus sieben Portfolios und rund 170 Mitarbeitern hat das Unternehmen eine beachtliche Größe erreicht. "Wir wollen effizient und profitabel einen Schrumpfen von Beständen entsprechend runter managen", erklärt Blum-Barth das Kernprinzip.

Anders als klassische Versicherer, die auf Wachstum ausgerichtet sind, wickelt eine Run-Off-Plattform geschlossene, nicht mehr vertriebene Versicherungsbestände ab. "Das ist quasi eine Win-Win-Win-Situation", betont der Kapitalanlage-Experte: Der Kunde profitiert von hoher Effizienz und wird nicht durch steigende Fixkosten erdrückt, der Verkäufer kann sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren, und die Run-Off-Plattform betreibt ein profitables Geschäftsmodell.

Warum Versicherer ihre Bestände verkaufen

Die Gründe für den Verkauf von Lebensversicherungsbeständen sind vielfältig. Blum-Barth nennt als wesentliche Treiber: fallende Zinsen, wachsender Kostendruck, steigende regulatorische Anforderungen und hohe IT-Investitionskosten. "Wenn du traditionell früher in den 80er Jahren 7 bis 8 Prozent am Kapitalmarkt locker mit Pfandbriefen erwirtschaftet hast und auf der anderen Seite nur dreieinhalb Prozent dem Kunden versprochen, das heißt du eine große Lücke gehabt sozusagen dazwischen, wo du bequem auch jegliche Form von Fixkosten mit abdecken konntest", beschreibt er die frühere komfortable Situation.

Heute wird dieser Gap zwischen der internen Verzinsung der Produkte und den Erträgen am Kapitalmarkt immer geringer. Hinzu kommt die Demografie: "Wenn du dir einfach die Alterskohorte anschaust, die heute zwischen 30 und 35 sind, wird es einfach schwieriger, Neukunden zu akquirieren." Auch neue Wettbewerber wie ETFs und digitale Anlageprodukte setzen klassische Lebensversicherer unter Druck.

Ein entscheidender Unterschied zum Sachversicherungsgeschäft: Bei Lebensversicherungen können Versicherer nicht einfach aussteigen. "Ich habe ja beim Lebensversicherer nicht die Möglichkeit, Beiträge in der Laufzeit anzupassen. Das heißt, ich muss vom ersten Tag an meine Kosten über 30 Jahre durchkalkuliert haben", erklärt Pieler. Die einzige Option ist dann der Verkauf an eine Run-Off-Plattform, die durch Skaleneffekte effizienter arbeiten kann.

Skaleneffekte durch Konsolidierung

Die Frankfurter Lebensgruppe transferiert übernommene Portfolios auf ihre Plattform und vereinheitlicht dabei Standards. "Wir transferieren ein gekauftes Portfolio auf unsere Plattform. Vereinheitlichung heißt Standard, Standard, Standard", beschreibt Blum-Barth den Prozess. Dies betrifft sowohl die Asset-Seite als auch die Passiv-Seite der Bilanz.

Besonders im Asset Management entstehen erhebliche Skaleneffekte. Die Bündelung von Vermögenswerten führt zu effizienterer Verwaltung und besseren Konditionen. "Du wirst dir jetzt nicht für eine Asset-Klasse eine Reihe von Asset-Managern halten, die für dich arbeiten." erklärt der Vorstand. Der Diversifikationsnutzen nimmt ab einem gewissen Punkt ab, während Komplexität und Kosten steigen.

Die teuerste Komponente bei Übernahmen ist die Bestandsmigration. "Die Versicherungsindustrie hat ja sehr früh schon angefangen auf IT zu setzen, auch auf uralte Systeme", sagt Blum-Barth. Verträge, die 30 Jahre oder älter sind, stammen oft aus extrem alten IT-Systemen. Diese auf eine neue Plattform zu heben, erfordert erhebliche Expertise. "Der wichtigste Mitarbeiter eines aktiven Versicherers ist der Vertriebsvorstand. Bei uns ist der bedeutendste Mitarbeiter der IT-Vorstand", verdeutlicht er die andere Prioritätensetzung.

Strategische Kapitalanlage im Run-Off

Die Frankfurter Lebensgruppe setzt auf eine besondere Anlagestrategie, die sich die Planbarkeit des Bestands zunutze macht. "Wir legen besonderen Wert auf hohe laufende Erträge", erklärt Blum-Barth. Dazu gehören alternative Investmentprodukte wie Private Credit und Immobilienfinanzierungen. Der entscheidende Vorteil: "Wenn du einen geschlossenen Bestand hast, kannst du dir dein Cashflow von der Passivseite gut planen."

Anders als Versicherer mit aktivem Vertrieb wissen Run-Off-Plattformen genau, wie sich ihr Bestand entwickelt. Es gibt keine unvorhersehbaren Vertriebserfolge oder Misserfolge. "Sowohl Wachstum als auch Abnahme kennt man", fasst Pieler zusammen. Diese Planbarkeit ermöglicht es, gezielt auf Illiquiditätsprämien zu setzen und ein optimales Cashflow-Profil zu gestalten.

Das Ergebnis: "Mit 3,5 Prozent Überschussbeteiligung bei unseren Lebensversicherungen in unserer Gruppe sind wir im Spitzenfeld, was die Überschussbeteiligung angeht." Die Effizienzsteigerungen kommen also tatsächlich beim Kunden an.

Kundenorientierung und Reputation als Geschäftsgrundlage

Ein weit verbreitetes Vorurteil besagt, dass Run-Off-Gesellschaften den Kundenservice vernachlässigen. Blum-Barth widerspricht energisch: "Wir haben Interesse an unserer Reputation als Unternehmen." Durch geringere Fixkosten etwa für Vertrieb oder repräsentative Immobilien können Mehrwerte für den Kunden geschaffen werden.

Die Reputation ist für das Geschäftsmodell essentiell. Zwar kann der Kunde nicht aus dem Vertrag aussteigen, aber: "Versicherer mit einem Brand dahinter, die auch weiter am Markt Abschlüsse generieren wollen", sind darauf angewiesen, dass ihre ehemaligen Kunden gut behandelt werden. Wenn die Run-Off-Gesellschaft schlecht mit den Kunden umgeht, schadet das dem Ruf des Verkäufers und gefährdet künftige Transaktionen.

Ein weiterer Unterschied zu aktiven Versicherern: Run-Off-Gesellschaften haben keinen Anreiz für Cross-Selling oder aufwendige Kundenbindungsprogramme. "Der Nutzen für den Kunden ist gar nicht so hoch, der will eigentlich eher schnell seine Bankverbindung ändern und dann packen wir es schnell über ein Online-Formular", beschreibt Pieler die fokussierte Herangehensweise. Die Effizienz kommt dem Kunden zugute, ohne dass er auf Service verzichten muss.

Kulturelle Herausforderungen und Mitarbeiterperspektive

Warum machen klassische Versicherer nicht einfach einen internen Run-Off? Blum-Barth sieht die Antwort in kulturellen Gründen: "Der Mindset sozusagen der Mitarbeiter muss ja ein ganz anderer sein." Während im Wachstumsgeschäft die Fixkosten langsamer wachsen sollen als die Deckungsbeiträge, müssen im Run-off die Kosten radikal variabel gestaltet werden.

Die Frankfurter Lebensgruppe arbeitet daher intensiv mit Outsourcing-Partnern zusammen, um Kosten variabel zu halten. Für Mitarbeiter bietet das Run-Off-Geschäft jedoch besondere Reize: "Es ist der spannendste Job, den ich bislang gemacht habe, weil er unglaublich vielseitig ist", schwärmt Blum-Barth. Jedes neue Portfolio bringt neue Herausforderungen mit sich.

Der Vergleich zur Unternehmensberatung liegt nahe: "Der Unternehmensberater schläft im Hotel, bei uns schläft man abends noch im eigenen Bett." Die Mitarbeiter haben typischerweise langjährige Erfahrung in der Versicherungsbranche. Berufseinsteiger sind selten, denn bei der Übernahme neuer Portfolios hilft es, wenn die Asset-Klassen und Produkte bereits aus der Vergangenheit bekannt sind.

"Wenn du Eigenverantwortung magst, dass du als Mitarbeiter intrinsisch motiviert bist und auch eine gewisse fachliche Exzellenz mitbringst und Spaß an Leistung hast, ist das Run-off Geschäft sehr attraktiv", fasst Blum-Barth die Anforderungen und Chancen zusammen.

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