Gordon Repinski und das POLITICO-Team liefern im Berlin Playbook täglich Politik zum Hören. In der aktuellen Ausgabe analysiert Rixa Fürsen gemeinsam mit Hans von der Burchard die dramatische Regierungskrise in Frankreich. Die Kernbotschaft: Frankreich stürzt in eine beispiellose Staatskrise, die nicht nur Paris, sondern ganz Europa in Gefahr bringt.
Premier nach 24 Stunden gescheitert
Die politische Situation in Frankreich erreicht eine neue Dimension des Chaos. Premierminister Sébastien Lecornu trat nur wenige Stunden nach der Vorstellung seines Kabinetts zurück, ein historischer Vorgang. "Man kennt natürlich diese Krisen in Frankreich, aber so schnell, das ist schon wirklich was Neues. Zumindest seit der französischen Revolution nicht, dass eine Regierung wirklich so kurz im Amt war."
Der Auslöser: Innenminister Bruno Retailleau zog nach nur einem Tag den Stecker. Lecornu ist bereits der fünfte Premier seit Emmanuel Macrons Wiederwahl 2022 und der dritte allein in diesem Jahr. Die Situation wirkt so absurd, dass Rixa Fürsen im Podcast zugibt: "Ich musste kurz im Kalender checken, ob es nicht doch der 1. April ist."
Staatsverantwortung? Fehlanzeige!
Das eigentliche Problem liegt tiefer als nur in Personalquerelen. Von der Burchard diagnostiziert: "Es gibt da nicht so das Gefühl von einer Staatsverantwortung, dass die Parteien sagen, jetzt raffen wir uns mal zusammen, weil es geht ja auch mehr als um die Parteieinteressen." Lecornu selbst sprach in seiner Rücktrittsrede von zu vielen roten Linien und zu wenig Kompromissbereitschaft. "Es fehle an Selbstlosigkeit und Demut der anderen Parteien", zitiert Fürsen den scheidenden Premier.
Die französische Demokratie steckt in einer Zwickmühle: Sowohl die extreme Rechte als auch die extreme Linke sind stark, die Mitte wird zerrieben. Jede Partei verhält sich, als hätte sie die absolute Mehrheit, doch niemand hat sie wirklich. Das Parteiensystem ist "total festgefahren", so von der Burchard. Es fehle das Bewusstsein, jetzt Kompromisse zu machen, obwohl es um mehr als nur Parteieinteressen gehe.
Doppelkrise: Politik und Finanzen
Neben der institutionellen Krise droht eine finanzielle Katastrophe. Frankreich hat massive Schuldenprobleme und gerät mit den EU-Schuldenregeln "in große Bedrängnis". Von der Burchard warnt: "Es gibt ja einerseits diese institutionelle Krise, die wir jetzt sehen, aber es gibt auch diese finanzielle Krise, diese Haushaltskrise, dass Frankreich da wirklich ein Schuldenproblem hat."
Vier Szenarien für Macron
Welche Optionen bleiben Präsident Macron? Von der Burchard skizziert vier mögliche Wege aus der Krise:
Erstens könnte der Schock doch noch zu Kompromissbereitschaft für einen Premier aus dem Mittelrechtslager führen, was er derzeit aber nicht sieht.
Zweitens könnte Macron einen linken Premier ernennen, etwa aus dem Kreis der Sozialdemokraten und Grünen. Dies würde jedoch zu einer sehr instabilen Minderheitsregierung führen, die bei Haushaltsfragen kaum Mehrheiten finden und "wahrscheinlich auch sehr schnell scheitern würde".
Drittens: Neuwahlen des Parlaments, wie sie die extreme Linke und die extreme Rechte fordern. Marine Le Pens Rassemblement National würde dabei vermutlich zur stärksten Kraft.
Und viertens die "ultimative nukleare Option": Macron tritt als Präsident zurück und löst sowohl Parlaments- als auch Präsidentschaftswahlen aus.
"Derzeit scheint in Frankreich alles möglich zu sein", fasst von der Burchard zusammen.
Berlin in Sorge, Brüssel alarmiert
Die Auswirkungen auf Deutschland und Europa sind erheblich. Von der Burchard berichtet von Gesprächen mit Politikern und Diplomaten: "Gerade auch in Brüssel ist die Sorge sehr, sehr groß, dass eben diese Instabilität in Frankreich, gerade was den Haushalt und diese ganzen finanziellen Probleme angeht, dass sich das von Frankreich auch auf den Rest Europas übertragen könnte."
Wenn Frankreich die Situation nicht in den Griff bekommt, läuft zwar der aktuelle Haushalt weiter, dieser steht jedoch im Widerspruch zu den EU-Regeln. "Das heißt, da hat man einen handfesten Konflikt", erklärt von der Burchard. Die entscheidende Frage: "Wie lange die Märkte das noch alles so mitmachen." Es drohe eine "sehr hochexplosive Situation", die für ganz Europa, besonders für Deutschland, problematisch sei.
Deutsch-französische Projekte auf der Kippe
Für die Bundesregierung unter Friedrich Merz ist die Situation besonders heikel. Erst vor etwas mehr als einem Monat hatte man sich in Toulon mit der französischen Regierung getroffen, noch unter dem vorherigen Premierminister François Bayrou. Damals hoffte man auf eine stabile Mitte-Rechts-Regierung mit Lecornu, mit der die vereinbarten Projekte fortgesetzt werden könnten.
Von der Burchard berichtet: "Jetzt ist man allerdings in Berlin doch schon deutlich mehr beunruhigt, weil man einfach nicht weiß, was danach kommt." Die große Sorge: Wird es eine rechte Regierung des Rassemblement National geben? Werden die gemeinsamen Wirtschaftsprojekte, EU-Projekte und Energieprojekte überhaupt noch Bestand haben? "Oder müssen wir jetzt hier wirklich nochmal ganz von vorne anfangen?"
Für Fürsen ist klar: Es ist schwieriger geworden als "in Deutschland einen Bahnchef zu finden". Frankreich als wichtigster europäischer Partner Deutschlands und zweitstärkstes EU-Land ist handlungsunfähig. Und ohne Frankreich funktioniert in Europa nicht viel.
Verfassen Sie den ersten Kommentar