Im neuesten GDV-Chefökonomen-Talk diskutiert GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen mit den drei renommierten Chefökonomien Jérôme Jean Haegeli (Swiss Re), Dr. Michael Menhart (Munich Re) und Ludovic Subran (Allianz) über die dramatischen Herausforderungen für die Weltwirtschaft 2025. Die Experten warnen vor einer beispiellosen Stagflation in den USA, einer drohenden Deindustrialisierung Deutschlands und der Gefahr eines eskalierenden Handelskriegs zwischen den USA und China. Gleichzeitig sehen sie in Eurobonds und strukturellen Reformen die Chance für Europas wirtschaftliche Zukunft.
USA am Scheideweg: Fed zwischen Zöllen und Stagflation
Jérôme Jean Haegeli zeichnet ein düsteres Bild der amerikanischen Wirtschaftslage. "Die Trump-Zollpolitik ist ein stark funktionierender Schock, aber auch wahrscheinlich ein Bumerang", warnt der Swiss Re-Chefökonom. Die Inflation liegt bereits bei 2,4 Prozent über dem Fed-Ziel, während das Wachstum im ersten Quartal negativ war.
Besonders problematisch: "Es trifft vor allem auch die einkommensschwachen Haushalte. Es wird die Inflation hochhalten. Es wird das Wachstum dämpfen." Haegeli erwartet, dass die Fed trotz der schwierigen Lage im dritten Quartal die Zinsen senken muss, prognostiziert aber eine anhaltend hohe Inflation von über drei Prozent.
Der Swiss Re-Experte spricht von einem "Spagat für die Fed" und warnt vor einer Stagflation: "Das Wachstumsbild schwächt sich klar ab, daher wird eine Zinssenkung kommen müssen."
China-USA: Ein Handelskrieg mit globalen Folgen
Ludovic Subran von der Allianz sieht in der vereinbarten Übergangszeit zwischen USA und China zwar eine diplomatische Chance, warnt aber vor den Konsequenzen für Europa. "Sollte China seine Produkte nicht mehr in den USA exportieren können, wird es verstärkt andere Märkte, insbesondere Europa, bedienen."
Die Zahlen sind alarmierend: Bis zu 18 Milliarden US-Dollar jährlich könnten nach Europa umgelenkt werden, bei einer Eskalation sogar ein Vielfaches davon. "Das heißt, dass wir in Europa zwei Wartefronten haben, die USA und China", so Subran.
Der Allianz-Chefvolkswirt betont: "Der Ausgang des Zollstreits bleibt ungewiss, denn im Kern geht es nicht nur um Handel, sondern eine tiefgreifende strategische Konkurrenz zwischen den USA und China."
Transatlantische Beziehungen in der Krise
Dr. Michael Menhart von der Munich Re diagnostiziert einen fundamentalen Wandel in den USA-Europa-Beziehungen. "Die US-Politik vermittelt grundsätzlich den Eindruck, dass es eigentlich keine Verbündeten mehr gibt, sondern mehr oder weniger nur noch Geschäftspartner."
Diese Entwicklung bedroht nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Finanzstabilität. Der Munich Re-Chefökonom warnt vor einem "bleibenden Vertrauensverlust" und betont: "Vertrauen lässt sich leicht verspielen, aber nicht so leicht wieder zurückzugewinnen."
Besonders besorgniserregend findet Menhart die Versuche von US-Präsident Trump, Einfluss auf die Fed zu nehmen. Während Handelskonflikte allein noch keine extreme Gefahr darstellten, sieht er größere Risiken in der US-Fiskalpolitik und möglichen Attacken auf die Fed-Unabhängigkeit.
Eurobonds: Europas Antwort auf die Dollar-Dominanz
Ludovic Subran macht sich stark für eine neue Eurobonds-Initiative. "Eurobonds gibt es bereits und das ausstehende Volumen steigt auch stark an" - allerdings stark fragmentiert. Mit rund einer Billion Euro ausstehender EU-Anleihen sei das Volumen zwar beträchtlich, aber "verschwindend gering zu anderen Staatsanleihenmärkten".
Das Problem: "Die EU zahlt aktuell eine deutliche Zinsprämie von rund 40 Basispunkten im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen, obwohl beide eine AAA-Rating haben." Subran sieht in Blue Euro Bonds die Lösung und betont: "Das ist die Zeit, unsere Kriege zu finanzieren, unsere Zukunft zu finanzieren."
EZB mit mehr Spielraum als die Fed
Jérôme Jean Haegeli sieht die Europäische Zentralbank in einer komfortableren Lage als ihr amerikanisches Pendant. "Die Zentralbank EZB hat mehr Spielraum, meines Erachtens nach, die Konjunktur zu stützen. Sie muss es auch mehr machen als das Fed."
Mit einer Inflation von 1,9 Prozent in Europa gegenüber 2,4 Prozent in den USA hat die EZB deutlich mehr Handlungsspielraum. Weitere Zinssenkungen seien zu erwarten, da "der Handelskrieg eher inflationär wirkt in den USA als in Europa".
Deutschland: Zwischen Deindustrialisierung und Reformchance
Die Lage in Deutschland beschreibt Ludovic Subran als kritisch: "Wir sehen die Pleiten 10 Prozent höher im 2025 als im 2024." Deutschland befinde sich nicht in einer konjunkturellen Delle, sondern "mit grundlegenden Umbrüchen durch Demografie, Klimawandel, Digitalisierung, geopolitisches Risiko".
Dennoch zeigt sich Subran optimistisch über das neue Finanzpaket der schwarz-roten Bundesregierung: "Das Finanzpaket ist ein wichtiges Signal politischer Handlungsfähigkeit und adressiert zentrale Investitionslücken, insbesondere in Bereichen wie Verkehr, Bildung und Verteidigung."
Auch Dr. Michael Menhart lobt die Regierungsarbeit: "Die finanzpolitischen Maßnahmen entfalten langsam, aber trotzdem ihre Wirkung. Die deutsche Wirtschaft wird zum Jahreswechsel und vor allem auch im kommenden Jahr deutlich an Fahrt gewinnen."
Rezept für Deutschlands Zukunft
Jérôme Jean Haegeli formuliert klare Handlungsempfehlungen für die Regierung und fordert Mut für unpopuläre Entscheidungen: "Den Worten müssen Taten folgen!" Konkret müsse "das Red Tape, die Bürokratie abgebaut" werden durch Fast-Track-Gesetze ähnlich dem CHIPS-Act.
Außerdem brauche es ein "Energiepaket Nummer zwei" mit einer Strompreisbrücke für energieintensive Betriebe bis 2027, gekoppelt an Investitionszusagen in Dekarbonisierung.
Beim Arbeitsmarkt müsse Deutschland von anderen lernen: "Es wäre nicht falsch, wenn man auch andere Beispiele wie in Australien oder vielleicht auch in der Schweiz anschaut." Qualifizierte Zuwanderung sei der Schlüssel gegen den demografischen Wandel.
Die größten Herausforderungen der nächsten Monate
Auf die Abschlussfrage nach den größten wirtschaftlichen Herausforderungen antworten die Experten eindeutig:
Dr. Michael Menhart: "Die größte Herausforderung ist die Unberechenbarkeit der US-Politik in einer Zeit, in der das Ausmaß an Unsicherheiten ohnehin hoch genug ist."
Jérôme Jean Haegeli sieht die "geopolitische Handlungsfähigkeit" als zentral an: "Langfristigkeit ist in einer volatilen Welt sehr viel schwieriger planbar."
Ludovic Subran fokussiert auf Europa: "Wie schwach kann Frankreich politisch sein? Und wie könnte das die Eurozone gefährden?" Als zweiten Punkt nennt er die Finanzierung der Verteidigung: "Wie können wir den Krieg finanzieren und dumme Ausgaben vermeiden?"
Die drei Chefökonomin sind sich einig: Europa muss in dieser kritischen Phase zusammenstehen und mutige Reformen wagen, um wirtschaftlich und geopolitisch handlungsfähig zu bleiben.
Der vom GDV organisierte Talk findet in der Regel zweimal jährlich statt.
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