Im Podcast "Der Autopreneur" analysiert Branchenanalyst Philipp Raasch die wichtigsten Entwicklungen der Automobilindustrie. Während Mercedes-CEO Ola Källenius einen dramatischen Brandbrief an die EU-Kommission schickt und vor dem Kollaps von 13 Millionen Arbeitsplätzen warnt, investieren dieselben Konzerne gleichzeitig Milliarden in China. Raasch erklärt, warum deutsche Steuerzahler bald Jobs in Fernost finanzieren könnten und welche drei Kennzahlen Europa vor diesem Desaster bewahren können.
Der dramatische Hilferuf aus Stuttgart
Am 27. August haben Mercedes-CEO Ola Källenius als Präsident des europäischen Herstellerverbands ACEA und Matthias Zink vom Zuliefererverband CLEPA einen dreiseitigen Brandbrief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt. "Die starren CO2-Ziele für 2030 und 2035 sind in der heutigen Welt schlicht nicht mehr machbar", heißt es darin.
Die Forderungen der Manager: Technologieoffenheit statt Verbrennerverbot, staatliche Kaufprämien für E-Autos, Investitionen in Batterietechnologie, günstigere Strompreise und weniger Strafen bei verfehlten CO2-Zielen. Der Grund für die Dramatik: "Bis zu 15 Milliarden Euro Strafzahlungen drohen der Autoindustrie allein für 2025", warnt Raasch.
Europas Autoindustrie im Sturm
Mehrere Faktoren kommen zusammen und setzen die europäische Autoindustrie unter extremen Druck. Die USA haben ihre Zölle auf EU-Autos auf 15 Prozent angehoben – "sechsmal höher als vor Trump". Gleichzeitig lockt Amerika mit massiven Subventionen für lokale Produktion.
In Europa selbst läuft es nicht besser: Nur 15 Prozent der Neuwagen sind elektrisch, "weit unter den Prognosen von vor drei Jahren", wo man noch mit 30 Prozent gerechnet hatte. Bei den Batterien ist Europa praktisch abgehängt: "90 Prozent aller Batteriezellen kommen aus Asien, 80 Prozent davon aus China".
Besonders bitter: Europas große Batterie-Hoffnung Northvolt ist insolvent, und Porsches Batterietochter Cellforce wird eingestampft. "Batterieproduktion in Europa ist nicht wirtschaftlich machbar", lautet die ernüchternde Begründung.
China übernimmt, deutsche Hersteller verlieren
Während chinesische Autohersteller bis 2030 zwölf Prozent des westeuropäischen E-Auto-Markts erobern sollen, verlieren deutsche Premium-Hersteller in China massiv Marktanteile. "VW war mal Marktführer dort. Jetzt sind sie nur noch auf Platz drei. Mercedes, BMW, Audi und Porsche erwischt es sogar noch schlimmer", analysiert Raasch die dramatische Entwicklung.
Das Paradox wird dadurch perfekt: "Deutsche Hersteller investieren Milliarden in China und den USA. Parallel bauen sie in Europa massiv ab, streichen Stellen und wollen Werke schließen. Und dieselben Konzerne lobbyieren jetzt in Brüssel für Subventionen".
Die versteckte Agenda: Zeit kaufen
Hinter den Forderungen steckt laut Raasch eine klare Strategie: "Die Industrie will noch ein paar Jahre länger mit Verbrennern Geld verdienen. Und in dieser Zeit versuchen, technologisch aufzuholen". Deutsche Hersteller haben in China eine brutale Lektion gelernt, sie waren zu langsam bei Software und E-Mobilität.
Nicht alle Hersteller ziehen mit: Kia Europe hat öffentlich widersprochen und erklärt, mit dem 2035er-Verbrennerverbot klarzukommen. "Wer bei E-Autos gut aufgestellt ist, will harte Regeln. Wer noch aufholen muss, will Aufschub", bringt Raasch die unterschiedlichen Interessen auf den Punkt.
Drei Kennzahlen gegen den Steuergeld-GAU
Europa steht vor einem Dilemma: Lockert es die Regeln, fällt der Innovationsdruck weg. Bleibt es hart, könnte die Industrie abwandern. Raasch schlägt einen dritten Weg vor: "Europa hilft, aber mit klaren Bedingungen. Wer Förderung will, muss Wertschöpfung in Europa schaffen".
Konkret nennt er drei messbare Kennzahlen:
- Local for Local Quote: Wie viel Prozent der in Europa verkauften E-Autos werden hier auch entwickelt und gefertigt?
- EU-Batterieselbstversorgung: Wie viel Prozent des Batteriebedarfs produziert Europa selbst?
- Industriestromkostenlücke: Wie viel teurer ist Strom in Europa als in den USA?
"Diese drei Zahlen sollten quartalsweise veröffentlicht werden. Transparent für alle", fordert der Analyst. Nur so könne verhindert werden, dass europäische Steuerzahler praktisch Jobs in China und den USA subventionieren, während hier die Werke schließen.
Der 12. September als Schicksalstag
Am 12. September trifft sich von der Leyen mit den Autoschefs zum strategischen Dialog. "Die Industrie nennt das ihre letzte Chance". Raasch rechnet mit Kompromissen: Vielleicht werden die 2030er-Ziele gelockert, vielleicht gibt es Credits für E-Fuels oder längere Übergangsfristen.
Sein Appell ist klar: "Jeder Euro muss Wertschöpfung in Europa schaffen. Nicht für den Erhalt von gestern, sondern für den Aufbau von morgen". Aus Sicht der Steuerzahler sei es egal, ob Mercedes oder ein chinesisches Unternehmen Jobs in Europa schaffe. Die Wertschöpfung muss hier bleiben, das ist die Hauptsache.
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