Steinbrück rechnet ab: Deutschland versinkt in der "bequemen Gegenwart"
Im neuen FONDS professionell Podcast spricht Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit Gastgeber Joachim Nareike Klartext über Deutschlands Zustand. "Wir Deutsche möchten uns gerne bequem in einer permanenten Gegenwart einrichten". Mit dieser Diagnose benennt Steinbrück den Kern der deutschen Misere. Während China und andere Wettbewerber technologisch aufholen, erstickt Deutschland in Bürokratie und Reformstau. "Wir haben es nicht mit einem Erkenntnisproblem zu tun, sondern wir haben es mit einem Umsetzungsproblem zu tun", so der ehemalige Finanzminister über die politische Lähmung. Besonders brisant: "Dieser Sozialstaat wird zum Sozialfall, wenn wir nicht versuchen, die Bedürftigkeit stärker in den Mittelpunkt zu stellen."
Die überparteiliche Allianz der Reformer
Gemeinsam mit Ex-Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, Ex-Innenminister Thomas de Maizière und Verlegerin Julia Jäkel hat Steinbrück die "Initiative für einen handlungsfähigen Staat" ins Leben gerufen. Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten erarbeitete das Quartett 35 konkrete Reformvorschläge. Der Vorteil der Gruppe, wie Steinbrück im Podcast erklärt: "überparteilich zu sein, keine besonderen Funktionen und Ehren und Ämter mehr anzustreben und das Ganze auch ehrenamtlich zu machen. Und das hat uns unverdächtig gemacht."
Die Initiative trifft einen Nerv: Keine Nachrichtensendung, die nicht über den Bericht berichtete. Die Vorschläge fanden weitgehend Eingang in den Koalitionsvertrag. Doch Steinbrück bleibt skeptisch, ob aus Worten Taten werden.
Der Wahnsinn der deutschen Bürokratie
Ein Paradebeispiel für den Reformbedarf liefert Steinbrück mit einem Alltagsbeispiel: "Eine alleinerziehende Frau mit einem pflegebedürftigen Vater hat Anspruch auf 12 steuerfinanzierte Sozialleistungen. Dazu muss sie zu acht Anträge stellen." Vier Bundesministerien sind involviert, und in den Anträgen liegen vier verschiedene Definitionen des Einkommensbegriffs zugrunde.
Die Lösung? Eine große digitale Plattform, auf der alle Sozialleistungen gebündelt werden. Dazu Pauschalierung statt Einzelfallprüfung. "Einzelfallgerechtigkeit bedeutet Bürokratie", bringt es Steinbrück auf den Punkt. Es geht nicht um Sozialabbau, sondern um Effizienz. Ein Beispiel: Die teure Mütterrente kommt bei den bedürftigen Müttern gar nicht an, weil sie mit anderen Sozialleistungen verrechnet wird. "Daran merkt man den Irrsinn einer solchen Lösung."
Warum Reformen in Deutschland scheitern
Die Gründe für den Stillstand sind vielschichtig. Deutschland ist "sehr risikoorientiert" und meidet Innovationen, deren Effekte nicht zu 100 Prozent vorhersehbar sind, ganz im Gegensatz zu angloamerikanischen Gesellschaften. Die Politik ist "strukturkonservativ" und fürchtet den "Liebesentzug" der Wähler. "Wir haben es auch mit weiten Teilen einer Gesellschaft zu tun, die ziemlich starrköpfig ist, was Reformdurchsetzung betrifft und eigentlich die Reformer nicht belohnt, sondern eher bestraft."
Steinbrück räumt selbstkritisch ein, dass auch seine eigene Amtszeit nicht alle Probleme gelöst hat. Immerhin: "Die letzte Steuerreform, die es in Deutschland gegeben hat, kam von einem Bundesfinanzminister Steinbrück." Das war vor 16 Jahren. Seitdem hat sich der Handlungsbedarf aufgestaut, während China und andere Wettbewerber die deutschen Kernbranchen angreifen.
Steinbrücks Anlagetipp: Aktien statt Sparbuch
Zum Abschluss des Podcasts wird es persönlich: Der Ex-Finanzminister verrät Joachim Nareike seine private Anlagestrategie für die vier Enkelkinder. Keine Staatsanleihen, keine Sparbücher, sondern zwei Fonds, einer davon mit hohem Aktienanteil. "Die Renditen über 10, 20, 25, 30 Jahre sind einfach dort sehr viel größer als die ewige Sehnsucht, wie der Sparbuch sich entwickelt."



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