Rezeptabweichende Therapie

06.04.2020 10:34:29

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe Krankengymnastinnen, Logopäden und andere Heilnebenberufe versichert und eine meiner Mandantinnen fragt mich nun, ob sie auch versichert sei, wenn sie statt der ärztlich verordneten Krankengymnastik manuelle Therapien machen würden. Andere machen Osteopathie statt Krankengymnastik usw. Wie wird sich im Zweifelsfalle ein Haftpflichtversicherer verhalten, wenn durch die vom rezeptabweichende Therapie der Patientin ein Schaden entsteht?

Gibt es dazu Meinungen oder sogar Urteile?

Hintergrund der Frage meiner Mandantinnen ist auch noch, dass sie am liebsten den Ärzten sagen würde, dass die eine teurer Behandlung verordnen sollen, weil sie den Eindruck hat, dass oft eine preiswerte Behandlung verordnet wird, während eine teurer medizinisch besser geeignet ist. (Budgetierung?)

Ich danke Ihnen für Ihre Kommentare.

Viele Grüße

[Name ausgeblendet]

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06.04.2020 13:59:34

Hallo Herr [Name ausgeblendet],

es ergeben sich mehrere Fragen, wenn der nichtärztliche Therapeut von der
ärztlichen Verordnung abweicht:

Die Ärzteschaft entgegnete auf dem 118. Deutschen Ärztetag, dass keine
kurative Behandlung ohne eine fundierte Diagnostik und einen Ausschluss von
Kontraindikationen - was nur vom Arzt geleistet werden könne - durchgeführt
werden darf.

§ 28 (1) SGB V sagt: "Die ärztliche Behandlung umfaßt die Tätigkeit des
Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach
den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Zur
ärztlichen Behandlung gehört auch die Hilfeleistung anderer Personen, die
von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist."

§ 15 (1) SGB V: sagt: "Ärztliche oder zahnärztliche Behandlung wird von
Ärzten oder Zahnärzten erbracht, soweit nicht in Modellvorhaben nach § 63
Abs. 3c etwas anderes bestimmt ist. Sind Hilfeleistungen anderer Personen
erforderlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt)
angeordnet und von ihm verantwortet werden."

Und § 4 (3) MB/KK: "Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel müssen von den
in Abs. 2 genannten Behandelnden verordnet, Arzneimittel außerdem aus der
Apotheke bezogen werden.

Eine von der Verordnung abweichende Behandlung durch den Physiotherapeuten
ist also gesetzwidrig in der GKV - und in der PKV nicht erstattungsfähig.

Wie soll der Arzt seiner Pflicht nachkommen, dies zu verantworten?

Es handelt sich bei der ärztlichen Verordnung um ein "Rezept" - diese muss
z.B. der PKV-Versicherte mit der Rechnung des Physiotherapeuten bei seiner
PKV zur Erstattung einreichen. Wenn der Physiotherapeut statt der
tatsächlichen Behandlung das aufschreibt, was die Verordnung vorgegeben hat,
und der PKV-Versicherte dies dann so zur Erstattung einreicht, sollte es
wohl Versicherungsbetrug sein. Folge ist ggf. die außerordentliche Kündigung
der PKV - dazu ggf. Strafanzeige auch gleich gegen den Physiotherapeuten
wegen Beihilfe zum Betrug. Und soweit die Beamten-Beihilfe betroffen ist:
Disziplinarverfahren, ggf. Entfernung aus dem Dienst und Verlust der
Beamtenversorgung. Schon bei Mandanten erlebt.

Natürlich hat der Betrug gegenüber der GKV wohl auch Folgen.

Bei der eigenmächtigen Behandlung - ohne ärztliche Aufklärung dazu - ist der
Physiotherapeut ganz rasch bei der strafbaren rechtswidrigen
Körperverletzung, wenn etwas passiert, wenn er nicht vollständig wie ein
Arzt richtig aufgeklärt hat, da dann die Einwilligung des Patienten in die
Behandlung unwirksam ist. Dann haftet er für Schäden durch seine Behandlung
sogar dann, wenn ihm ein Behandlungsfehler nicht vorzuwerfen ist, der
Schaden also bei eigentlich ansonsten fachgerechter Behandlung eingetreten
ist.

Wird ein Strafverfahren wegen rechtswidriger Körperverletzung (mangelnde
Aufklärung über mögliche Komplikationen reicht trotz - eben dann nicht
wirksamer - Einwilligung für Rechtswidrigkeit, hier weil hinsichtlich der
konkreten Behandlung weder durch Arzt noch Therapeut erfolgt) eingeleitet -
etwa auch, weil der Patient sich daraus weitere Beweismittel erhofft -
leistet die Berufshaftpflichtversicherung oft nicht mehr. Ggf. wäre sie also
um eine Strafrechtspolice zu ergänzen - die aber Geldstrafen auch nicht
zahlt. Dies um einer Verurteilung zu entgehen und so nicht auch noch die
Leistungspflicht der Berufshaftpflicht zu verlieren.

Die Frage der Leistung der Berufshaftpflicht ist also nur ein kleineres
Teilproblem im Rahmen dessen, was sonst noch die Folgen sein können.

Hat er sich denn genauer überlegt, warum das, was er da vorhat, eine gute
Idee sein sollte?

Schöne Grüße

[Name ausgeblendet]

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06.04.2020 14:35:36

Hallo Herr [Name ausgeblendet],

das, was Sie schreiben haut einen ja fast um. Ich hatte natürlich ähnliche Gedanken, was die Rechtmäßigkeit einer abweichenden Behandlung angeht, aber bin dabei gedanklich nicht bis zu Worten wie "gesetzwidrig", "außerordentliche Kündigung", "Entfernung aus dem Dienst und Verlust der Beamtenversorgung" vorgedrungen.

Das ist formal bestimmt richtig, und das folgende sollen auch keine Gegenargumente sein. Ich nehme in der Praxis jedoch wahr, dass "sehr" viele Heilnebenberufler tatsächlich ihren eigenen Streifen durchziehen und manchmal auch glauben den Ärzten in gewissen Dingen überlegen zu sein, weil sie meinen aufgrund ihrer Ausbildung eine bessere Entscheidung treffen zu können, welche Behandlungen notwendig und angemessen ist. Ich werde meinen Mandanten einmal mit einigen Aspekten ihrer sehr ausführlichen Darlegung konfrontieren und Ihnen deren Antwort hier wiedergeben, falls Sie mir entsprechend antwortet.

Ihnen sage ich auf jeden Fall ganz herzlichen Dank, dass sie sich die Zeit genommen haben.

Viele Grüße

[Name ausgeblendet]

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