Schadenregulierung nach Kostenvoranschlag

26.08.2020 15:35:29

Guten Tag liebe Kolleg/innen,

ich habe soeben eine Nachricht von einem VR mit folgender Erklärung, zu
einer vom VN gewünschten

Regulierung nach Kostenvoranschlag zu einer Dachreparatur nach Sturmschaden,
erhalten:

„wenn VN nach Kostenvoranschlag abrechnen möchte möchten wir darauf
hinweisen, dass eine Abrechnung dieser Art grundsätzlich mit entsprechenden

Abzügen vorgenommen werden kann. Aufgrund nicht angefallener Sozialabgaben
im Stundensatz des Handwerkers erkennen wir grundsätzlich 70% des
Nettobetrages an,

da auch die Umsatzsteuer hier nicht anfällt.“

Dass eine Regulierung nach KV ohne MWST erfolgt ist klar, aber ist Ihnen
bekannt, dass auch nicht anfallende Sozialabgaben zu einem Abzug führen???

Vielen Dank u. viele Grüße

[Name ausgeblendet]

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26.08.2020 17:45:40

Hallo Herr [Name ausgeblendet],

das Problem sollte lange bekannt sein. So findet sich bereits in einem Schreiben eines Sachversicherers vom 03.11.2011 zu einer fiktiven Schadenabrechnung für einen KFZ-Schaden folgender Passus:

"Bitte beachten Sie, dass wir aufgrund des vorliegenden Sachverständigengutachten fälligen Erstattungsbetrag nach § 249 Abs.2. Satz 2 BGB netto ausbezahlen, nachdem die ausgewiesene MwSt. nicht angefallen ist.

Gleiches gilt für die in diesem Betrag enthaltenen kalkulierten Lohnnebenkosten und Sozialabgaben, die wir mit einem geschätzten Pauschalabzug von 10% vom Nettobetrag gleichfalls in Abzug bringen. Die Systematik des zitierten § 249 Abs. 2, Satz 2 BGB und der das Schadenersatzrecht tragenden Gedanke der Kompensation im Zusammenhang mit dem Bereicherungsverbot durch Überkompensation sollten eine Besserstellung des Geschädigten im Fall von Sachschäden verhindern, auch wenn auf fiktiver Kostenbasis abgerechnet wird.

Ein über den Schadensausgleich hinausgehender Vermögensvorteil tritt jedoch beim Geschädigten ein, wenn er Kosten wie Sozialabgaben und Lohnkosten einer Fachwerkstatt erstattet bekommt, obwohl ihm diese Kosten nicht entstanden sind und er sie auch nicht abführen muss.

Diese Beträge wären - wenn sie angefallen wären - durchlaufende Posten, da sie vom Geschädigten an die Fachwerkstatt und von dieser an die öffentliche Hand abzuführen gewesen wäre."

Das Problem wurde dann geklärt durch Urteil des BGH vom 19.02.2013 - VI ZR 69/12:

"Bei einer (fiktiven) Schadensabrechnung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB umfassen die erforderlichen Reparaturkosten auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. ...

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Abzug für Sozialabgaben
und Lohnnebenkosten bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung nicht geboten,
da der Gesetzgeber bewusst die Neuregelung in § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf
die Umsatzsteuer beschränkt habe. Auch wenn es der Gesetzgeber im Übrigen
der Rechtsprechung habe überlassen wollen, das Sachschadensrecht zu kon-
kretisieren und weiterzuentwickeln, sei daraus nicht zu folgern, dass nach dem
Willen des Gesetzgebers sämtliche öffentlichen Abgaben bei einer fiktiven Re-
paraturkostenabrechnung abgezogen werden sollten. Hätte es dem Willen des
Gesetzgebers entsprochen, auch insoweit Einschränkungen vorzunehmen, so
hätte er dies selbst getan. ...

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Entge-
gen der Auffassung der Revision sind Sozialabgaben und Lohnnebenkosten
Bestandteile des im Rahmen einer "fiktiven" Schadensabrechnung im Sinne
des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nach einem Verkehrsunfall zu erstattenden Scha-
dens.
1. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, wenn wegen Be-
schädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, statt der Herstellung den
dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach ständiger Rechtsprechung des
erkennenden Senats darf der Geschädigte dabei seiner (fiktiven) Schadensbe-
rechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer marken-
gebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat ...

Entgegen der Auffassung der Revision widerspricht die Berücksichti-
gung fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei der Berechnung der er-
stattungsfähigen Reparaturkosten weder dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch
dem Bereicherungsverbot. Denn das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall
Geschädigten ist um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden
muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren. Zu den erforderli-
chen Wiederherstellungskosten gehören, wie sich aus dem von der Revision
selbst in Bezug genommenen Senatsurteil vom 19. Juni 1973 - VI ZR 46/72
(BGHZ 61, 56, 58 f.) ergibt, grundsätzlich auch allgemeine Kostenfaktoren wie
Umsatzsteuer, Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Deshalb hat der Senat in
der vorgenannten Entscheidung vor dem Inkrafttreten des Zweiten Schadens-
rechtsänderungsgesetzes bei einer "fiktiven" Schadensabrechnung die Mehr-
wertsteuer beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten als echten
Schadensposten anerkannt und ausgeführt, der steuertechnisch bedingte ge-
trennte Ausweis der Mehrwertsteuer ändere nichts daran, dass sie als objekt-
bzw. leistungsbezogene allgemeine Abgabe auf den Verbrauch nicht weniger
ein allgemeiner Kostenfaktor sei als andere öffentliche Abgaben, welche direkt
oder indirekt in die Kosten und damit in den Preis einer Ware oder Leistung
Eingang gefunden haben.
3. Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das Zweite Schadensrechts-
änderungsgesetz in § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB die Erstattung nicht angefallener
Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom Schadenser-

satzanspruch ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen - systemwidrigen
- Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist ...

Die Revision weist selbst darauf hin, dass sich aus den Gesetzesma-
terialien (vgl. insbesondere BT-Drs. 14/7752, S. 13) ergibt, dass der Entwurf
eines Zweiten Schadensrechtsänderungsgesetzes aus der 13. Legislaturperio-
de zunächst vorsah, bei einer fiktiven Abrechnung von Sachschäden die öffent-
lichen Abgaben außer Ansatz zu lassen. Dieser Vorschlag ist indes auf vielfälti-
ge Kritik gestoßen. Dieser Kritik hat der Gesetzgeber im Rahmen des weiteren
Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen und auf einen Abzug sämtlicher
öffentlicher Abgaben bewusst verzichtet und sich auf die Umsatzsteuer als
größten Faktor unter den "durchlaufenden Posten" beschränkt. Fehlt es mithin
an einer Regelungslücke, kommt eine entsprechende Anwendung des § 249
Abs. 2 Satz 2 BGB auf andere "öffentliche Abgaben" nicht in Betracht.

Soweit es nach den Gesetzesmaterialien der Rechtsprechung über-
lassen werden sollte, das Sachschadensrecht "zu konkretisieren und zu entwi-
ckeln", vermag dies dem Senat nicht den Weg zu einer Abweichung vom gel-
tenden Recht und zu einer von der Revision erwünschten, aber vom Gesetzge-
ber nicht vorgesehenen Gleichstellung von Umsatzsteuer und anderen "öffentli-
chen Abgaben" zu eröffnen.

Entgegen der Auffassung der Revision führt eine Erstattung des zur
Herstellung erforderlichen Geldbetrags gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ohne
Abzug von Sozialabgaben und Lohnnebenkosten nicht zwangsläufig zu einer
Überkompensation des Geschädigten. Sie ist vielmehr lediglich die rechtliche
Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach der
Geschädigte bei der Beschädigung einer Sache statt der Naturalrestitution im
Sinne des § 249 Abs. 1 BGB Geldersatz verlangen kann (sogenannte Erset-
zungsbefugnis). Zu ersetzen ist dabei das Integritätsinteresse, d.h. der Geldbe-
trag, der zur Herstellung des Zustands erforderlich ist, der ohne das schädigen-
de Ereignis bestehen würde. Daneben ist der Geschädigte, der auf diese Weise
die Beseitigung der erlittenen Vermögenseinbuße verlangt, in der Verwendung
des Schadensersatzbetrags frei, d.h. er muss den ihm zustehenden Geldbetrag
nicht oder nicht vollständig für eine ordnungsgemäße Reparatur in einer (mar-
kengebundenen) Fachwerkstatt einsetzen (sog. Dispositionsbefugnis). Die Re-
visionserwiderung weist mit Recht darauf hin, dass die Sichtweise der Revision
zur Beseitigung dieser Dispositionsbefugnis führen würde, die mit einer miss-
bräuchlichen Bereicherung des Geschädigten nichts zu tun hat. Verzichtet der
Geschädigte auf eine Reparatur des unfallbeschädigten Fahrzeugs, so bleibt
der entsprechende Wertverlust des Fahrzeugs bestehen. Wählt er eine Eigen-,
Teil- oder Billigreparatur außerhalb einer Fachwerkstatt, kann damit ebenfalls
ein Wertverlust des Fahrzeugs einhergehen. Entgegen der Auffassung der Re-
vision kann nicht unterstellt werden, dass der Wert des Fahrzeugs nicht
dadurch beeinflusst wird, ob bei der Reparatur Sozialabgaben, Lohnnebenkos-
ten und Umsatzsteuer angefallen sind. Vielmehr spielt es beim Verkauf eines
Fahrzeugs mit einem früheren Unfallschaden nach allgemeiner Lebenserfah-
rung durchaus eine Rolle, ob der Unfallschaden vollständig und fachgerecht in
einer markengebundenen oder sonstigen Fachwerkstatt behoben worden ist. ...

Die im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB
erforderlichen (Gesamt-) Reparaturkosten eines Kraftfahrzeuges nach einem
Verkehrsunfall setzen sich aus vielen einzelnen Kostenfaktoren zusammen und
lassen sich schadensrechtlich nicht aufspalten in einen "angefallenen" und ei-
nen "nicht angefallenen" Teil. Dies wäre in der Rechtspraxis nicht handhabbar
und würde dem Geschädigten sowohl die Ersetzungsbefugnis als auch die Dis-
positionsfreiheit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nehmen."

Aber:

Die fiktive Abrechnung eines Gebäudeschadens unterscheidet sich von der fiktiven Abrechnung bei einem Haftpflichtschaden. Im ersten Fall handelt es sich nämlich um eine Sachversicherung und im zweiten Fall um die Haftpflichtversicherung des Schädigers. Dies bedeutet für den Versicherungsnehmer, dass andere Abrechnungsgrundsätze bestehen.

Hierzu aber äußert sich Mühlhausen in VersR 2014 S. 928 rechte Spalte ganz klar dahingehend, dass bei Sachsubstanzschäden stets eine fiktive Abrechnung möglich ist und hierbei die abstrakt notwendigen Schadenbeseitigungskosten in voller Höhe - jedenfalls netto ohne USt. - wie sie bei Beauftragung eines gewerblichen Unternehmers angefallen wären, auch dann vom Versicherer ersetzt verlangt werden können, wenn die Reparatur in Eigenleistung oder auch gar nicht erfolgt.

Vgl.:

https://www.bld.de/upload/Muehlhausen_VersR_2014__927_4181.pdf

Und: bereits der Abzug der USt. ist sehr fraglich. Denn wie oben vom BGH festgestellt ist dies im Haftpflichtschaden ein vom Gesetzgeber eingeführter systemwidriger Ausnahmetatbestand, den man daher nicht auf andere Konstellationen einfach analog übertragen kann.

Übrigens wird bei fiktiver Abrechnung oft einiges vergessen. Wie Aufräum-, Bewegungs-, Sicherungs- und Lagerungskosten. Also ggf. den Handwerker nochmal fragen "Ist das wirklich alles?!"

Vgl.:

https://youtu.be/Pil76_K8yQs?t=79

Schöne Grüße

[Name ausgeblendet]

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