Digitale Identität als Plattformgeschäft - vom Start-up zum Mittelständler

Von Fake-Schutz bis digitale Briefzustellung: Benny Bennet Jürgens, Gründer von Nect, erklärt im Podcast you.talk, wie sein Unternehmen mit automatisierter Identitätsprüfung den Versicherungsmarkt revolutioniert. "Wir haben zwölf Millionen User aufgebaut, ein sehr, sehr grosser Teil von unserem Traffic kommt mittlerweile aus bereits bekannten Usern und nicht mehr neu verifizierten Usern", berichtet der Tech-Pionier.

Vom Versicherungsinformatiker zum Gründer

Bennett Jürgens startete seine Karriere mit einer Ausbildung zum Informatiker bei einem großen Versicherungsunternehmen und arbeitete dort zehn Jahre lang. Die letzten drei Jahre verantwortete er die App-Entwicklung, was den Grundstein für seine Gründungsidee legte. "Ich habe die Gründung eigentlich nur deswegen angestossen, weil ich gesagt habe, das kann was Großes werden", erklärt er seine Motivation, die "goldene Handschelle" eines gut bezahlten Versicherungsjobs aufzugeben.

Das Problem mit dem Aktivierungsbrief

Die Geschäftsidee entstand aus einer einfachen Beobachtung: Während sich die meisten Identifikationsanbieter auf das Neukundengeschäft konzentrieren, geht es im Versicherungsbereich hauptsächlich um Bestandskunden. Diese müssen sich authentifizieren, um Schäden zu melden oder auf ihre Daten zuzugreifen - meist mittels eines kostengünstigen, aber nutzerunfreundlichen Aktivierungsbriefs. "Du lädst dir halt so eine App runter und wartest erst mal drei Tage auf einen Brief, das ist halt so echt das Schlechteste, was du machen kannst", beschreibt Bennett Jürgens das Problem.

Von der Idee zum Marktführer

Nach der Gründung 2016 im WERK1 Incubator in München entwickelte sich das Geschäftsmodell kontinuierlich weiter. Der entscheidende Durchbruch kam 2017/2018 mit der Entwicklung einer automatisierten Videoidentifikation mittels künstlicher Intelligenz. Die R&V-Versicherung wurde 2018 der erste Kunde. Während der Corona-Pandemie erlebte Nect einen enormen Wachstumsschub, als das Unternehmen für Arbeitslosenmeldungen und Corona-Soforthilfen eingesetzt wurde.

"Durch die Automatisierung waren wir die einzigen, die in der Lage waren, diese Menge an plötzlichen Kurzarbeit, Geld und ähnliches überhaupt abzuarbeiten", erklärt der Gründer stolz. Diese Referenz öffnete Türen in anderen Bereichen wie Lotto und Elster, die Online-Steuererklärung.

Das eigentliche Ziel: Die wiederverwendbare Identität

Anders als viele Wettbewerber verfolgt Nect konsequent die Strategie, keine White-Label-Technologie anzubieten, sondern eine Plattform aufzubauen, auf der verifizierte Identitäten wiederverwendet werden können. "Der User geht wie in so einem Paypal-Prozess, nicht in der jeweiligen Versicherungsseite sozusagen führt er den Prozess durch, sondern er klickt auf so einen Nect-Button, kommt in unseren Nect-Prozess, führt dort die Identitätsverstellung durch und kann dann seine Identität speichern und später wiederverwenden."

Neue Anwendungsfälle: Von der Signatur zur Briefzustellung

Auf Basis dieser Plattform hat Nect weitere Anwendungsfälle entwickelt, darunter die qualifizierte elektronische Signatur: "Wenn ich den User aber schon kenne, mit einer hochverifizierten Identität, kann der halt eben in unserem Fall nur noch mit einem Selfie qualifiziert unterschreiben."

Der nächste große Schritt ist die digitale Briefzustellung. "Versicherer schicken am Tag zehn bis vierzehn Millionen Briefe", erklärt Bennett-Jürgens. Durch die hohe Anzahl verifizierter Nutzer kann Nect nun diese Kommunikation digitalisieren und so den kompletten Rundlauf vom Versand bis zur Unterschrift abbilden.

Erfolgsfaktoren: Eigenentwicklung und eigene Infrastruktur

Als Besonderheit betont Bennett Jürgens die Wichtigkeit der technologischen Eigenständigkeit: "Wir haben alles, das ist eigentlich das, was uns von Anfang an ausgezeichnet hat und das ist sicherlich auch das, was mich als Informatiker extrem stolz macht, ist, dass wir halt von Anfang an wirklich 100% in-house entwickelt haben." Vom OCR-System bis zur Gesichtserkennung und Deepfake-Erkennung wurde alles selbst entwickelt und wird auch auf eigener Hardware in drei deutschen Rechenzentren betrieben.

Mittlerweile beschäftigt Nect rund 100 Mitarbeiter, wächst jährlich um etwa 40 Prozent und arbeitet profitabel. Das nächste Ziel: die europäische Expansion. "Unser nächstes Ziel ist schon, irgendwo zu sagen, wir gehen jetzt mal deutlich über die deutschen Grenzen nochmal hinaus."

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