"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an"
heißt es in einem populären Schlager aus den 70er Jahren. Ginge es nach der
Mehrheit der Deutschen, müsste dieser Text allerdings in "mit 59 Jahren"
geändert werden, denn dies wird als das ideale Rentenalter angesehen. Das ist
eines der Ergebnisse des zum dritten Mal aufgelegten "AXA Ruhestand-Barometer",
einer repräsentativen, internationalen Studie über Erwartungen, Wünsche und
Einstellungen von Erwerbstätigen und Ruheständlern im Hinblick auf den
Lebensabschnitt "Ruhestand". Die Studie, die die Gesellschaft für Konsum-,
Markt- und Absatzforschung (GfK) im Auftrag der AXA in insgesamt 16 Nationen
durchgeführt hat, wurde heute auf einer Pressekonferenz in Köln vorgestellt. Für
den Deutschlandvergleich wurden dabei Aussagen von insgesamt 8.342 Befragten in
zehn Ländern herangezogen.
Rente mit 67 - in Deutschland ohne Akzeptanz
Beim derzeit äußerst kontrovers diskutierten Thema
"Renteneintrittsalter" zeigen sich die Deutschen immer noch relativ
optimistisch. So erwarten die deutschen Erwerbstätigen, mit 63 Jahren in den
Ruhestand zu gehen; mit 64 jedoch soll spätestens Schluss sein mit dem
Arbeitsleben. Die "Rente mit 67" lehnt die Mehrheit der Deutschen nach wie vor
vehement ab: 73 Prozent der befragten Erwerbstätigen sprechen sich gegen das
Anheben der Altersgrenze aus - damit liegen die Deutschen im internationalen
Vergleich an der Spitze.
Das "Alt sein" beginnt für die deutschen
Erwerbstätigen erst mit 71 Jahren. Den Zeitraum zwischen dem akzeptierten
Arbeitszeitende mit 64 und dem Beginn des "Sich-Altfühlens" - eine Lebensperiode
von fast zehn Jahren - wollen Erwerbstätige und Ruheständler aktiv nutzen. Sie
sind sich einig: In Deutschland lässt es sich glücklich und zufrieden leben.
Auch der "emotionale" Blick in Richtung Ruhestand ist und bleibt mehrheitlich
positiv. Die Deutschen freuen sich auf diese Lebensphase, die sie vor allem mit
Reisen und Sport gestalten wollen. Für die Ruheständler selbst steht der Sport
im Fokus ihrer Aktivitäten. Hier belegen sie auch international einen
Spitzenplatz.
Sozialversicherungssystem in der Krise?
In
Deutschland ist schon seit Jahren ein Mentalitätswechsel erkennbar. Die Rente
sichert nicht mehr wie früher die Jahre zwischen dem Ende der Arbeitsfähigkeit
und dem Tod, sondern das Erleben steht im Vordergrund - man möchte den
Lebensabend aktiv nutzen und genießen. So lehnen zum Beispiel 65 Prozent der
befragten Erwerbstätigen und 90 Prozent der Ruheständler eine bezahlte Tätigkeit
im Ruhestand ab. Die Studie zeigt ebenfalls eine kritische Einstellung der
Deutschen gegenüber den vorhandenen staatlichen Sicherungsinstrumenten: 99
Prozent aller befragten Erwerbstätigen sehen das deutsche
Sozialversicherungssystem in der Krise. Auch im internationalen Vergleich hegen
die Deutschen diesbezüglich neben den Japanern die größten Bedenken.
Über 40 Prozent der Erwerbstätigen zweifeln gar an der
Überlebensfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung - je jünger die
Befragten sind, desto weniger glauben sie daran, dass das Rentensystem noch
Bestand haben wird, wenn sie selbst 75 Jahre alt sind.
Dass die
staatliche Rente - insbesondere wenn der Ruhestand früher angetreten wird -
nicht mehr ausreicht, betont auch Professor Bernd Raffelhüschen, Direktor des
Instituts für Finanzwirtschaft in Freiburg und Vorstand der Stiftung
Marktwirtschaft. "Das Eine ist Wunsch, das Andere ist Wirklichkeit. Das
Wunschbild ist, so früh wie möglich in den Ruhestand zu gehen, um noch einmal
eine aktive Unruhezeit im Ruhestand zu haben. Finanzierbar ist das allerdings
nicht, jedenfalls nicht aus der Gemeinschaftskasse."
Sinkende Einkommen
und niedrigerer Lebensstandard im Ruhestand erwartet
Vor dem Hintergrund
dieser Ergebnisse ist es nachvollziehbar, dass 85 Prozent der Erwerbstätigen für
ihren Ruhestand mit einem niedrigeren Einkommen rechnen. Rund die Hälfte
befürchtet im Ruhestand sogar einen sinkenden Lebensstandard.
Problem
erkannt - doch nicht gebannt
54 Prozent - zehn Prozentpunkte mehr als
2005 - der deutschen Erwerbstätigen sagen aus, gut über ihr zukünftiges
Renteneinkommen informiert zu sein. Allerdings gibt gleichzeitig ein Drittel der
Befragten an, noch keinerlei finanzielle Vorkehrungen getroffen zu haben und
dies im Durchschnitt erst mit 48 Jahren tun zu wollen. Diejenigen, die
vorsorgen, tun dies im statistischen Mittel (Median) mit monatlich rund 150
Euro. Das bedeutet bei exakter Betrachtung allerdings, dass 50 Prozent der
befragten Erwerbstätigen sogar weniger als diesen Betrag für den Ruhestand
ansparen.
Nach der Rentenreform ist vor der Rentenreform
Fast
jeder zweite Deutsche geht davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren noch
eine weitere größere Rentenreform ansteht. Ein einheitliches
Rentenversicherungssystem für alle EU-Staaten lehnen darüber hinaus insbesondere
deutsche und niederländische Befragte deutlich ab.
Insgesamt zeigt die
Studie, dass sich die Deutschen zwar des Rentenproblems bewusst sind, aber immer
noch zögern, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Denn auch wenn mittlerweile
70 Prozent der befragten Erwerbstätigen sich selbst in der Verantwortung für die
Altersvorsorge sehen, sind immer noch 76 Prozent der Meinung, dass vorrangig der
Staat sich um die Rente kümmern müsse. Professor Raffelhüschen hierzu: "Diese
Einstellung ist gefährlich, denn sie führt dazu, dass sich ein Großteil der
heutigen jungen Generation im Alter mit einem erheblichen Versorgungsdefizit
konfrontiert sehen wird." Gerade weil die Zweifel an den sozialen
Sicherungssystemen so hoch seien, müsse sich jeder seiner Eigenverantwortung
bewusst sein: "Einiges werden wir heute schon nicht mehr ändern können, auf
tiefgreifende Einschnitte müssen wir uns einstellen. Unsere Zukunft hat schon
begonnen: Wir werden länger für weniger Rente arbeiten müssen."
Die
Studie
Die Studie wurde im Auftrag von AXA durch die Gesellschaft für
Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) über einen Zeitraum von drei Wochen im
August 2006 durchgeführt. Für den Deutschlandvergleich wurden insgesamt 8.342
Personen in elf Ländern befragt. Dazu zählen neben Deutschland Belgien,
Großbritannien, Spanien, Frankreich, Italien, USA, China, Japan, Australien und
Hongkong. In Deutschland wurden 308 Erwerbstätige ab 25 Jahren sowie 300 Ruhe-
und Vorruheständler bis 75 Jahre befragt.
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