Vor dem entscheidenden Koalitionsgipfel warnen Kassenvertreter vor Beitragsrekorden und fordern sofortige politische Reformen. Doch konkrete Lösungen bleiben weiter aus.
Drei-Prozent-Grenze wird 2026 überschritten
Die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen drohen zum Jahreswechsel 2026 erstmals die Drei-Prozent-Marke zu überschreiten. Diese Warnung richtete Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung, vor dem Koalitionsgipfel von CDU, CSU und SPD an die Politik. Bereits 2025 waren die Beitragssätze auf einen historischen Rekord von 17,5 Prozent gestiegen.
"Die Politik muss rasch handeln, denn sonst werden die Zusatzbeiträge zum ersten Januar die Drei-Prozent-Schwelle überspringen", betonte Blatt gegenüber der Augsburger Allgemeinen. Die finanzielle Situation der Kassen hat sich dramatisch verschlechtert: 2024 verzeichneten sie ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro, und die Rücklagen reichen nur noch für drei statt der gesetzlich vorgeschriebenen sechs Tage.
Ausgabenmoratorium als umstrittene Lösung
Als zentrale Maßnahme fordert der GKV-Spitzenverband ein Ausgabenmoratorium. "Eigentlich ist die Sache doch recht einfach: Wir brauchen eine Gesetzgebung, die verhindert, dass die Krankenkassen immer wieder mehr ausgeben müssen, als sie einnehmen", erklärte Blatt. Künftig sollen Preis- und Honorarzuwächse nicht mehr schneller steigen dürfen als die Einnahmen der Krankenkassen.
Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt jedoch die Grenzen dieses Ansatzes auf. Selbst bei einer Koppelung der Ausgaben an die Lohnentwicklung würde dies nicht ausreichen, um weitere Beitragserhöhungen zu verhindern. Medizinischer Fortschritt, demografischer Wandel und steigende Arzneimittelpreise entwickeln sich unabhängig von den Löhnen. Bis 2028 entsteht laut IW-Berechnung ein zusätzlicher Finanzbedarf von fast 19 Milliarden Euro.
Konkrete Sparvorschläge der Kassen
AOK-Chefin Carola Reimann präsentierte konkrete Einsparmöglichkeiten von bis zu 14 Milliarden Euro. Den größten Hebel sieht sie in der Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent, was allein sieben Milliarden Euro bringen würde. Bei den Klinikausgaben könnten durch mehr Abrechnungskontrollen und den Ausschluss von Doppelfinanzierungen weitere 3,5 Milliarden Euro eingespart werden.
"Dabei liegen schon lange konkrete Vorschläge auf dem Tisch", kritisierte Reimann. "Über konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Situation ist man sich aber uneins." Langsam entstehe der Eindruck von sozialpolitischer Ratlosigkeit und Untätigkeit.
Bundeshaushalt bietet keine Hilfe
Zusätzliche Finanzspritzen des Bundes für die Gesetzliche Krankenversicherung und Soziale Pflegeversicherung sind im Bundeshaushalt 2025 nicht vorgesehen. Die Bereinigungsvorlage des Bundesfinanzministeriums sieht lediglich Darlehen vor: 2,3 Milliarden Euro für den Gesundheitsfonds in den Jahren 2025 und 2026, rückzahlbar ab 2029.
Die Grünen schlagen als Alternative vor, den Steuersatz auf Kapitalerträge von 25 auf 30 Prozent zu erhöhen. "Hätte 2024 der Steuersatz bei 30 Prozent gelegen, hätte der Bund rund fünf Milliarden Euro mehr für den Gesundheitsfonds verwenden können", erklärte der Grünen-Finanzexperte Sascha Müller. Dies würde vermögende Menschen stärker an der Finanzierung des Sozialstaats beteiligen, während die steigenden Sozialabgaben besonders die unteren Einkommensgruppen treffen.
Die Zeit für politische Reformen wird knapp. Ohne rasches Eingreifen drohen den Versicherten 2026 historische Beitragsrekorde, die sowohl die privaten Haushalte als auch den erhofften Wirtschaftsaufschwung belasten würden.
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