Fondsbewertung zwischen Quantität und Qualität: Ein Insider-Gespräch

Shannon Kirwin, Principal bei Morningstar, gewährt Einblicke in die Welt der Fondsbewertung. Die Amerikanerin mit Germanistik-Studium erklärt, warum Fondsmanager manchmal ungemütlich werden, weshalb künstliche Intelligenz ihre Arbeit noch lange nicht übernehmen kann und welche eine Sache sie in der Finanzbranche per Fingerschnipp ändern würde.

Vom Germanistik-Studium zur Fondsbewertung

Shannon Kirwins Karriere begann unkonventionell. "Ich bin ein bisschen da reingerutscht", gesteht die gebürtige Amerikanerin offen. 2008, mitten in der Finanzkrise, suchte sie mit einem frischen Germanistik-Abschluss nach einem Job und fand über eine Freundin den Weg zu Morningstar. Was als Notlösung in der Softwareabteilung begann, wurde zur 17-jährigen Karriere.

Heute bewertet sie als Principal europäische und asiatische Anleihenfonds und leitet die wöchentlichen Ratings-Komitees. Ihre internationale Perspektive ist dabei kein Zufall: Die polyglotte Analystin spricht fließend Deutsch, Französisch und Chinesisch. Sprachen, die ihr in ihrer täglichen Arbeit zugutekommen.

Wenn Fondsmanager ungemütlich werden

Die Unabhängigkeit ihrer Bewertungen führt regelmäßig zu Spannungen mit den bewerteten Fondsgesellschaften. "Wenn die Fondsmanager nicht damit einverstanden sind, was wir über sie gesagt haben, dann müssen wir dafür uns erklären und gerade stehen. Und das ist nicht immer das angenehmste Gespräch", beschreibt Kirwin die Herausforderungen ihres Berufs.

Besonders brisant wird es, wenn Morningstar eine negative Bewertung veröffentlicht und wenige Monate später wieder beim selben Fondshaus vorstellig wird. "Wir werden nicht von den Fondhäusern bezahlt", betont Kirwin die Unabhängigkeit ihrer Arbeit, ein Prinzip, das manchmal für frostige Atmosphäre sorgt.

Überraschungen gehören zum Geschäft

Trotz intensiver Vorbereitung und persönlicher Gespräche gibt es immer wieder unangenehme Überraschungen. "Es ist schon passiert, dass wir uns mit Fondsmanagern getroffen haben, unseren Bericht geschrieben haben und kurz darauf erfahren wir, dass der Fondsmanager gekündigt hat und woanders hingegangen ist und das uns beim Treffen verschwiegen hat."

Solche Vorfälle sind zwar enttäuschend, bringen Morningstar aber nicht aus der Ruhe. Die Analystin betont: "Es war noch nie so, dass wir wegen so was ganz aufhören mussten, einen Fonds zu covern."

Sterne versus Medaillen: Das doppelte Bewertungssystem

Morningstar arbeitet mit zwei unterschiedlichen Rating-Systemen, die oft verwechselt werden. "Wir haben ja die Sterne, das ist eine zurückschauende Bewertung von der Performance von einem Fonds. Und dann haben wir unsere Medalist-Ratings, das ist eine vorausschauende Bewertung."

Der entscheidende Unterschied liegt in der Perspektive: Während die bekannten Sterne rein auf historischen Daten basieren, wagen die Medalist-Ratings eine Prognose für die Zukunft. Dabei fließen qualitative Faktoren wie Teamstabilität, Expertise und die Unterstützung durch die Fondsgesellschaft ein.

KI kann menschliche Expertise (noch) nicht ersetzen

Trotz der Digitalisierung sieht Kirwin ihre Zunft noch nicht bedroht. "Es kann gut sein, dass in 30 Jahren nur noch eine KI diese Arbeit macht. Ich glaube, wir sind da noch nicht ganz so weit", erklärt sie realistisch, aber ohne Pessimismus.

Der Grund liegt in den vielen qualitativen Faktoren: "Es gibt einfach immer noch viele qualitative Faktoren, die man nicht aus dem Internet finden kann, wo es wirklich immer noch nötig ist, in die Fondsgesellschaften reinzugehen, mit den Investment-Teams zu reden." Warum hat ein Fonds eine bestimmte Performance erzielt? Wie arbeitet das Team zusammen? Diese Fragen kann ChatGPT noch nicht beantworten.

Aktiv versus passiv: Pragmatismus statt Ideologie

In der ewigen Debatte zwischen aktiven und passiven Fonds vertritt Kirwin eine ausgewogene Position. "Passive Fonds sind sehr attraktiv und haben auch in den letzten Jahren, zumindest auf der Aktienseite, sehr gut ausgesehen im Vergleich zu vielen aktiven Strategien."

Gleichzeitig sieht sie aktives Management keineswegs als überholt an: "Ich finde nicht, dass das aktive Fondsmanagement tot ist oder gar nicht mehr interessant ist. Ich finde eigentlich beides sehr wertvoll." In ihrem eigenen Portfolio setzt sie auf eine Mischung aus beiden Welten.

Der wichtigste Wunsch: Finanzbildung in der Schule

Auf die Frage nach dem einen Wunsch, den sie in der Finanzbranche erfüllt sehen möchte, antwortet Kirwin ohne Zögern: "Wenn ich eine Sache ändern könnte, dann würde das Thema Finanzen in Schulen früher thematisiert werden."

Die Finanzbildung liegt ihr besonders am Herzen: "Dass man auch von jung an lernt, wie wichtig das ist, Geld anzulegen. Wie einfach das eigentlich gehen kann, wie man ein Depot eröffnet und den ersten ETF kauft." Für sie sind das essenzielle Fähigkeiten für alle Menschen.

Warum Fondsbewertung relevanter wird

Kirwin sieht ihre Arbeit nicht als Auslaufmodell, sondern als zunehmend wichtigen Service. "Heutzutage ist es in Deutschland so, dass immer mehr Leute sich Gedanken darüber machen, wie sie sich für ihre Altersvorsorge vorbereiten können und greifen viel mehr auf Investmentprodukte, sei es ETFs oder Fonds, zurück. Von daher denke ich, das wir mit der Zeit nur noch relevanter werden."

Den Vergleich mit anderen großen Anschaffungen findet sie treffend: "Sei es, ob ich eine Matratze kaufe oder ein Haus kaufe, es ist immer wichtig, dass man eine Expertenmeinung holt und eine unabhängige Expertenmeinung holt."

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