Im Podcast "Table Today" macht Sana-Klinikchef Thomas Lemke kontroverse Vorschläge zur Gesundheitsreform. Der Chef der drittgrößten deutschen Klinikgruppe stellt die Vollversorgung älterer Menschen infrage und schlägt ein Bonussystem vor, das Versicherte für wenige Arztbesuche belohnt. Seine Forderungen erinnern an den 20 Jahre alten Eklat um Philipp Mißfelder.
Gesundheitssystem: 1,5 Milliarden Euro täglich
Thomas Lemke kritisiert die Ineffizienz des deutschen Gesundheitssystems scharf. "Wir haben eins der teuersten Gesundheitssysteme weltweit und wenn man sich das Ergebnis anschaut, dann fragt man sich ja, was schaffen wir eigentlich damit?"
Das Hauptproblem sieht Lemke in der überbordenden Bürokratie: "Unsere Ärzte und Pflegekräfte müssen 30 Prozent ihrer Arbeitszeit für Bürokratie und Formulare verwenden. Es gibt eine maximale Kontrollwut."
Kontroverse Forderung: Weniger Vollversorgung für Hochbetagte
Lemke erneuert eine bereits vor 20 Jahren vom verstorbenen Junge Union-Chef Philipp Mißfelder geäußerte kontroverse Position. Mißfelder hatte 2003 einen Eklat ausgelöst mit der Frage, ob 85-Jährige noch auf Kosten der Solidargemeinschaft künstliche Hüftgelenke bekommen sollten. Lemke geht nun weiter: "Wir müssen als Gesellschaft uns fragen, ob wir in jeder Lebensphase, wo die Menschen sind, und da rede ich jetzt auch 80 aufwärts, diesen Menschen am Ende des Tages die vollumfängliche Medizin zukommen lassen", so der Sana-Chef. Er nennt konkret Implantate, Hüften und Knieprothesen.
"In den meisten anderen Ländern der Welt würden medizinische Leistungen ab einem bestimmten Alter nur bei Eigenbeteiligung angeboten", erklärt Lemke und räumt ein: "Das ist eine hochproblematische ethisch-moralische Diskussion. Wir werden da ranmüssen."
Bonussystem statt Praxisgebühr
Als Alternative zu Sanktionen schlägt Lemke Anreizsysteme vor. Sein konkreter Vorschlag: "Wenn man nur zweimal im Jahr zum Arzt geht, kriegt man 200 Euro am Jahresende von der Krankenkasse." Er glaubt an die Wirksamkeit positiver Anreize: "100 Euro mehr im Portemonnaie, wenn ich jetzt nicht jeden Tag zum Arzt gegangen bin. Es wird was verändern."
Scharfe Kritik vom Chef der Kassenärzte
Lemkes Vorstoß stößt auf heftige Kritik. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), warnt vor einer Rationierung von Hüft-Operationen ab 80 Jahren: "Der Vorschlag, Menschen ab einem bestimmten Alter die Leistungen zu kürzen, greift eine ähnliche hochproblematische britische Regelung auf. Das ist weder notwendig noch zielführend", sagte Gassen der "Rheinischen Post".
Der KBV-Chef betont die Grundprinzipien der solidarischen Krankenversicherung: "Das Wesen eines solidarischen Krankenversicherungssystems ist es ja gerade, medizinische Leistungen zu ermöglichen, wenn sie gebraucht werden, unabhängig von Alter, Geschlecht und Verdienst."
Stattdessen schlägt Gassen andere Reformen vor: Krankenhäuser seien mit "nahezu 300 Millionen Euro an Kosten jeden Tag" der Hauptkostentreiber. Eine Reduktion der Klinikanzahl würde die verbleibenden Häuser stärken und Kosten senken. Zudem fordert er, versicherungsfremde Leistungen wie Gesundheitskosten der Bürgergeldempfänger über Steuergelder zu finanzieren und "intelligente und sozial ausgewogene Selbstbeteiligungsmodelle" zu prüfen.
Krankenhausreform: Umverteilung statt Einsparung
Zur geplanten Krankenhausreform äußert sich Lemke skeptisch. Er verwendet das Bild einer Badewanne: "Den Wasserspiegel abzusenken, da müssen wir an die Kosten heran. Die Krankenhausreform führt nicht zu geringeren Kosten im System. Die Geldmenge bleibt gleich, sie wird nur umverteilt."
Lemke schätzt, dass Deutschland mit 300 bis 350 Kliniken weniger auskommen könnte, kritisiert aber die zentrale Steuerung aus Berlin: "Ein einheitliches Konzept, von Berlin aus gesteuert für alle Regionen in dieser Bundesrepublik, funktioniert nicht."
Krankenstand und Karenztag
Ein weiterer Kostentreiber ist der hohe Krankenstand. Lemke beobachtet: "Schaut man sich die Zahlen an, es ist kein Zufall, dass es Montag und Freitag besondere Ausschläge gibt." Er plädiert für die Wiedereinführung eines Karenztages: "Das wäre ein großer Hebel."
Personalvorgaben als Innovationskiller
Besonders kritisiert Lemke staatliche Personalvorgaben: "Wenn Sie den Menschen das Denken abnehmen durch staatliche Vorgaben, dann verhindern Sie Kreativität, Sie verhindern Innovation. Je mehr Regulierung, umso weniger Innovation, umso höher die Kosten."
Teure Medikamente für seltene Krankheiten
Als größten Kostenhebel identifiziert Lemke die individualisierte Medizin: "Spritzen von zweieinhalb Millionen und so weiter. Diese Forschung und die Entwicklung läuft in die Milliarden hinein." Deutschland sei eines der wenigen Länder, die allen Zugang zu diesen teuren Medikamenten gewähren.
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