Fromme: "Versicherer müssen Vertriebe entmachten"

Herbert Fromme, Versicherungskorrespondent der Süddeutschen Zeitung und Gründer des Versicherungsmonitors, nimmt im Insurance Monday Podcast kein Blatt vor den Mund. Der als einer der bestinformierten Branchenbeobachter geltende Journalist warnt vor massiven Umbrüchen und fordert ein radikales Umdenken in den Vorstandsetagen. „Wenn der Staat nicht reingrätscht, wird sich der Markt dramatisch ändern", prognostiziert Fromme. Seine Kernbotschaft: Die deutsche Versicherungswirtschaft muss dringend konsolidieren, die Vertriebe entmachten, Kosten senken, die IT modernisieren und sich auf KI bewaffnete Kunden einstellen.

Fünf dringende Aufgaben für die Branche

Fromme identifiziert fünf zentrale Herausforderungen für die Versicherer. „Sie müssen dringend konsolidieren und zwar viel schneller als sie glauben", betont er. Deutschland hat 71 Versicherungskonzerne mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresprämie, davon 49 mit einem Marktanteil von unter einem Prozent. Jeder dieser kleinen Versicherer leistet sich eine IT Abteilung, eine Rechtsabteilung und einen hochbezahlten Vorstand. Die Ineffizienz ist eklatant.

Die zweite Forderung richtet sich gegen die Macht der Vertriebe. „Sie müssen die Fondsfinanz, DVAGs und MLPs dieser Welt entmachten", sagt Fromme deutlich. Die deutsche Lebensversicherung zahlt jährlich 8 Milliarden Euro an Vertriebskosten, die den Kunden berechnet werden. Während Deutschland 180.000 Vermittler hat, kommen die Franzosen mit 64.000 aus, die Niederländer sogar mit nur 7.000. „Das ist nicht haltbar", urteilt der Journalist.

Kostendruck und strukturelle Probleme

Die Kostensituation deutscher Versicherer ist alarmierend. Ein normaler Schadenunfallversicherer weist zwischen 30 und 35 Prozent Kostenquote aus. Inklusive der in der Schadenposition versteckten Bearbeitungskosten liegen die tatsächlichen Kosten zwischen 36 und 41 Prozent. Dazu kommt die Versicherungssteuer von 19 Prozent. „Über 50 Prozent von dem, was der Kunde einzahlt, kommt dem Kunden nicht zugute", rechnet Fromme vor.

Die IT-Schulden der Branche sind massiv. „Die Versicherungswirtschaft hat das Pech, der First Mover zu sein", erklärt Fromme. Der erste IBM Großrechner wurde in den 1950er Jahren an die Allianz ausgeliefert. Wer zuerst investiert, hat später Probleme beim Umstieg. Die Ergo beispielsweise kämpft mit 4,5 Millionen Altverträgen und hat von 2017 bis voraussichtlich 2030 Zeit für die IT Migration eingeplant. „In der Zeit haben die Chinesen drei Generationen KI für die Versicherungswirtschaft nicht nur ausgerollt, sondern schon wieder eingestampft und die nächste in Betrieb genommen", kommentiert Fromme sarkastisch.

KI als Game Changer

Die größte Herausforderung sieht Fromme in der künstlichen Intelligenz, allerdings nicht primär beim eigenen Einsatz, sondern bei der Nutzung durch Kunden. „Die Kunden sind mit KI bewaffnet und der Versicherer führt so etwas nach drei Jahren ein. Das wird nicht gut gehen", warnt er. Fromme nutzt selbst regelmäßig ChatGPT, um Versicherungsbedingungen zu prüfen. Kürzlich analysierte er eine Hausratpolice und erhielt die Rückmeldung: Im Wesentlichen gut, aber „wenn du ein Haustier hast, ist sie richtig scheiße".

Die nächste Stufe ist die Agentic KI, bei der Agenten eigenständig handeln. „Ich muss meine Haftpflicht versichern, such die drei Besten raus, hole Angebote ein und schließe dann ab", beschreibt Fromme das Zukunftsszenario. Der Agent kontaktiert dann nicht einen Vertriebler, sondern kommuniziert direkt mit den KI Systemen der Versicherer. Dieser Wandel vollzieht sich schneller als viele denken. Die großen Internetkonzerne wie Google rüsten ihre Milliarden Nutzer kostenlos mit KI Werkzeugen aus, um den Suchmaschinenmarkt nicht zu verlieren.

Aktuare und andere bedrohte Berufe

Manche Berufsbilder werden komplett verschwinden. „Der Beruf, der am meisten gefährdet ist, ist wahrscheinlich der des Aktuars", prognostiziert Fromme. Er vergleicht die Situation mit den Lithographen, die in den 1980er Jahren noch Farbauszüge für den Druck machten und dann durch technologische Entwicklungen praktisch über Nacht verschwanden. Auch in den USA entlassen große Versicherer bereits Tausende Mitarbeiter und begründen dies explizit mit KI Einführung.

Selbstzufriedenheit als größtes Problem

Auf die Frage, was er mit einem Zauberstab ändern würde, antwortet Fromme ohne Zögern: „Ich würde die Selbstzufriedenheit in den Vorstandsetagen deutscher Versicherer wegzaubern zugunsten einer realistischen Bestandsaufnahme". Die Branche sei zu gut darin, sich selbst zu loben. Ein Vorstand einer kleinen Versicherung mit 800 oder 1.000 Mitarbeitern, die „ein Kollege früher eine mittlere Marmeladenfabrik" nannte, benehme sich, als gehöre ihm die halbe Stadt.

Fromme erinnert an ein Motto von Lemonade, das er bei einem Besuch in New York sah: „It's not our money" stand auf einer Folie in den Fenstern. „Das müsste sich eigentlich jeder Vorstand immer an jede Wand nageln", fordert er. Bei Versicherungsvereinen sei die Kontrolle besonders schwach. Er kritisiert Fälle, in denen Söhne von Vätern übernehmen oder Versicherungsvereine wie ein Privatreich betrachtet werden.

Verlust an Bedeutung

Die Versicherungswirtschaft verliert an gesamtwirtschaftlicher Relevanz. Das Sparaufkommen der Deutschen stieg von 2015 bis 2024 um 59 Prozent von 184 auf 292 Milliarden Euro. Die Prämieneinnahmen der Lebensversicherer wuchsen im gleichen Zeitraum lediglich um 6,8 Prozent von 88 auf 94 Milliarden Euro. Die gesamte Schadenunfallversicherung hatte vor 20 Jahren einen Anteil von 2,5 Prozent am Bruttosozialprodukt, heute sind es nur noch 2,1 Prozent. „Die Versicherungswirtschaft wird unwichtiger und es ist wichtig, dass man das versteht", mahnt Fromme.

Konsolidierung als Überlebensstrategie

Versicherungsvereine können über eine Holding Struktur fusionieren, wie es Gothaer und Barmenia sowie die SDK und die Stuttgarter vormachen. „Die Methode ist gefunden und die BaFin macht das auch mit", erklärt Fromme. Allerdings müssen Vorstände bereit sein, ihre kleinen Fürstentümer aufzugeben. Die neue EU-Verordnung DORA mit ihren strengeren IT Anforderungen wird weitere Fusionen erzwingen.

So konnte die Landeslebenshilfe in Lüneburg konnte die BaFin Anforderungen an ihre IT nicht mehr erfüllen und musste einen Käufer suchen. Die Frankfurter Leben übernahm sie, verlangte aber eine Mitgift. Die Schwestergesellschaft Landeskrankenhilfe zahlte fünf Millionen Euro, verbucht unter „Abwendung von Reputationsschaden". Solche Fälle werden sich häufen.

Internetkonzerne als unterschätzte Gefahr

Fromme warnt vor der Rückkehr der großen Internetkonzerne in die Versicherungsbranche. „Uns wird gerade vorgeführt, dass man einen ganz modernen Versicherer bauen kann, der null Risiko übernimmt", sagt er. Als Risikoträger finde sich immer jemand. Er fragte den Chef der Munich Re, ob sie den Risikoträger für Google oder Apple machen würden. „'Natürlich' hat er gesagt", berichtet Fromme. Die Rückversicherer stehen also bereit.

Der Versicherungsbeamte

Zum Abschluss wird Fromme persönlich: „Bis vor etwa 100, 10, 120 Jahren waren die Mitarbeiter der Versicherer Versicherungsbeamte und ein bisschen ist dieses Beamtenmäßige immer noch da, auch bei manchen Vorständen". Die Branche solle aus seiner Sicht realistischer auf die eigene Situation blicken und dafür sorgen, dass Mitarbeiter so lange wie möglich überleben können. Er richtet sich direkt an die Vorstände: „Es wäre toll, wenn ihr dafür sorgt, dass euer Laden bei den anstehenden Veränderungen vorne mit dabei ist und nicht der letzte ist, für den sich dann wirklich niemand mehr interessiert.

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