Wie der Sozialstaat sein eigenes Fundament untergräbt

Im bto Podcast spricht Gastgeber Daniel Stelter mit Prof. Dr. Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel über die dramatische Lage der deutschen Staatsfinanzen. Der Sozialstaat erdrückt die eigene Mitte, und ohne tiefgreifende Reformen droht Deutschland eine Finanzkrise historischen Ausmaßes.

Die alarmierenden Zahlen

Der Bundesrechnungshof konstatiert: Deutschland lebt "strukturell über seine Verhältnisse". Im Jahr 2026 wird fast jeder dritte von der Bundesregierung ausgegebene Euro mit Krediten finanziert. Die öffentlichen Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden belaufen sich auf fast 2,7 Billionen Euro, rund 62 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt das Kernproblem: Die Sozialausgaben des Bundes sind seit 1992 von 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 5,2 Prozent gestiegen. Standen soziale Leistungen 1992 noch für 35 Prozent des Haushalts, sind es heute 48 Prozent. Pro Einwohner stiegen die Ausgaben inflationsbereinigt um 82 Prozent. Im Gegenzug sank der Anteil der Investitionen am Haushalt von 15,4 Prozent 1992 auf einen Tiefstand von 8,6 Prozent im Jahr 2011.

Kommunen in der Krise

Nicht nur der Bund leidet unter den steigenden Sozialausgaben. Das Finanzierungsdefizit der deutschen Kommunen hat sich im ersten Halbjahr auf 19,7 Milliarden Euro vergrößert. Die Bertelsmann Stiftung spricht von der "größten kommunalen Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik".

Boysen-Hogrefe erklärt das Problem: "Die Kommunen können an der Höhe der Sozialleistungen, die sie aushändigen, nichts ändern." Diese Ausgaben seien von außen vorgegeben und fräßen ein großes Loch in die Haushalte. Was dann übrig bleibt, werde konsolidiert, häufig zu Lasten der Investitionen.

Keine einfachen Lösungen

Die Idee, über höhere Vermögenssteuern die Haushaltsprobleme zu lösen, erteilt Boysen-Hogrefe eine klare Absage: "Das ist kein Ausweg, das ist tatsächlich eher Problemverweigerung." Eine echte Vermögensteuer betreiben nur sehr wenige Länder, etwa die Schweiz, Norwegen oder Luxemburg. Aber in diesen Ländern seien die Ertragssteuern entsprechend niedriger.

Auch beim Bürgergeld sieht der Experte keine großen Einsparpotenziale: Selbst wenn man hier 5 Milliarden einsparen würde, sei das "vom Umfang her nichts, was uns grundsätzlich auf eine neue Spur setzt".

Was muss getan werden?

Boysen-Hogrefe fordert eine grundlegende Staatsreform. "Die wesentliche Aufgabe ist es, dass der Bund die Aufgaben, die er selber bestellt, bezahlt." Die Kommunen müssten vor dem Zugriff des Bundes geschützt werden.

Der Schlüssel zur Lösung liege in mehr Beschäftigung: "Am einfachsten konsolidiert es sich durch mehr Beschäftigung. Alles, was Beschäftigung schwieriger macht, sollte auf den Prüfstand gestellt werden." Dies bedeute unpopuläre Reformen: Nutzergebühren wie eine PKW-Maut oder Studiengebühren, um Mittel für Steuersenkungen freizumachen, die die Arbeitsanreize stärken.

Besonders dringlich sei eine Reform des Rentensystems: "Die Lebensarbeitszeit muss steigen, einfach weil die demografische Entwicklung so stark begegnet." Auch das Ehegattensplitting sollte überdacht werden, um mehr Arbeitsanreize zu schaffen.

Schuldenbremse und Sondervermögen

Die Grundgesetzänderung im Frühjahr 2025, die neue Verschuldungsmöglichkeiten schuf, sei zwar plausibel gewesen, warnt Boysen-Hogrefe aber: "Es entbindet aber nicht, sondern verpflichtet vielmehr dazu, Konsolidierungsmaßnahmen in der Folge zu ergreifen." Geschehe dies nicht, stünden die öffentlichen Haushalte nach Ablauf der Sondervermögen vor einer noch schwierigeren Situation.

Der internationale Vergleich

Frankreich bleibt der große Problemfall in Europa, unfähig zur politischen Konsolidierung. Boysen-Hogrefe zeigt sich besorgt: "Das macht einem dann schon Sorgen bezüglich der Qualität, wenn nicht sogar des Bestands des Euroraums."

Politik ist jetzt in der Pflicht

Daniel Stelter fasst die Lage zusammen: "Der Sozialstaat zerdrückt zunehmend das Fundament, auf dem er basiert. Denn nur eine gute Wirtschaft kann auch einen Sozialstaat finanzieren." Die Politik muss endlich an die großen Themen ran: Energie, Sozialabgaben, Rente, Krankenversicherung und Pflege. Tut sie das nicht, wird positives Wachstum im Sozialstaat bei negativem Wachstum in der Wirtschaft das Land in eine tiefe Krise führen.

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