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23.10.2006 - dvb-Presseservice

Rede zum DGB-Aktionstag am 21. Oktober 2006 in Dortmund

Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbandes Deutschland – SoVD

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Namen des Sozialverbandes Deutschland – SoVD – begrüße auch ich Sie recht herzlich zu dieser heutigen Kundgebung.

Es ist höchste Zeit für eine gemeinsame Protestkundgebung der Gewerkschaften, Sozialverbände und anderen gesellschaftlichen Organisationen um gegen die Sozialpolitik dieser Regierung zu demonstrieren. Es ist höchste Zeit der Großen Koalition zu zeigen: wir sind viele, die sich gegen die sozial ungerechten Reformen wehren.

Die von der Großen Koalition geplanten Reformen, die angeblich die Lösung aller Probleme darstellen sollen, bedeuten doch vor allem weitere finanzielle Belastungen für die Menschen. Sie sind nichts anderes als ein erneutes Kürzungsprogramm sozialer Leistungen.

Die angekündigte Gesundheitsreform wird schon wieder die Versicherten und Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung einseitig zur Kasse bitten. Die Beiträge zur Krankenversicherung steigen und die Versicherten müssen nach der Einführung des Gesundheitsfonds mit einem Zusatzbeitrag rechnen. Damit werden alle künftigen Kostenrisiken auf die Patienten abgewälzt. Dies trifft Geringverdiener und chronisch Kranke besonders hart. Höhere Beiträge, mehr Bürokratie, kein Mehr an Effizienz und ein geringerer, unproduktiver Wettbewerb – so lässt sich die Reform kurz zusammenfassen.

Da nutzt es auch nichts, dem Gesetzesmonstrum von 542 Seiten den Namen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zu verpassen. Denn das Gesetz stärkt nicht den Wettbewerb, sondern bewirkt genau das Gegenteil: Das Zusammenwirken von Gesundheitsfonds und einem unzureichenden Risikostrukturausgleich führt zu einem ungleichen Wettbewerb der Krankenkassen, der letztlich auf dem Rücken der Patienten und Versicherten ausgetragen wird. Denn Krankenkassen mit einem hohen Anteil chronisch kranker und älterer Mitglieder bekommen die notwendigen höheren Ausgaben nicht kompensiert und werden daher an den Leistungen für ihre Mitglieder sparen müssen. Das müssen wir verhindern!

Die Probleme in der Gesundheitspolitik lassen sich nicht durch immer höhere Beiträge, immer mehr Zuzahlungen und immer weniger Leistungen lösen. Das haben die Gesundheitsreformen der letzten Jahre mit ihren immer größeren finanziellen Belastungen für Kranke und Versicherte deutlich gezeigt. Die Preisgabe der paritätischen Finanzierung hat keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen. Die Gesundheitsausgaben werden immer mehr und immer stärker von den privaten Haushalten in Deutschland bezahlt und Arbeitgeber und öffentliche Hand immer mehr entlastet. Und das soll jetzt weiter so gehen! Kaum ein Land in Europa hat so hohe Gesundheitsausgaben wie Deutschland. Gemessen an den Ausgaben lässt das Ergebnis allerdings zu wünschen übrig.

Der Sozialverband Deutschland lehnt höhere Belastungen der Patienten und Versicherten durch einen Gesundheitsfonds, Zusatzbeiträge und Beitragserhöhungen ab!

Wir lehnen weite Teile der Gesundheitsreform als verfehlt und kontraproduktiv ab. Wir fordern die Große Koalition dringend auf, bei der Gesundheitsreform noch mal von Grund auf neu zu beginnen.

Wir fordern eine solidarische Bürgerversicherung und den Erhalt der paritätischen Finanzierung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern! Wir fordern mehr Qualität, Effizienz und Transparenz im Gesundheitswesen.

Auch die Rentenreform läuft in eine völlig falsche Richtung. Die Menschen sollen künftig bis 67 arbeiten und das zu einer Zeit, in der die vorhandene Lebensarbeitszeit nicht einmal annähernd ausgeschöpft wird! Wir haben eine so geringe Beschäftigungsquote älterer Menschen wie kaum irgendwo sonst. Nirgendwo sonst gibt es so negative Vorstellungen der Wirtschaft über die Leistungsfähigkeit von über 50-Jährigen.

Ein höheres Renteneintrittsalter ist der völlig falsche Weg! Damit macht die Politik den zweiten Schritt vor dem ersten. Es muss erst einmal dafür gesorgt werden, dass Menschen überhaupt bis 65 arbeiten können, dass junge Menschen einen Ausbildungsplatz finden und alle Menschen eine Chance auf eine menschenwürdige Beschäftigung haben.

Die Rente mit 67 ist nichts weiter als ein Rentenkürzungsprogramm. Durch die versicherungsmathematischen Abschläge, die für die oft erzwungene, frühzeitig in Anspruch genommene Rente entstehen, werden immer mehr ältere Menschen in Armut und Abhängigkeit von der Sozialhilfe getrieben werden.

Ein Durchschnittsverdiener bekommt nach 45 Versicherungsjahren nur rund 1100 Euro Rente. Diese 45 Versicherungsjahre sind mittlerweile praktisch kaum noch erreichbar - Arbeitslosigkeit, verlängerte Ausbildung, Umschulungen usw. unterbrechen immer stärker die Erwerbsbiografien. Und der Durchschnittsverdienst ist für die vielen Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, die sich mit Minijobs über Wasser halten, die trotz Vollzeitbeschäftigung staatliche Unterstützung brauchen, nur noch ein Wunschtraum.

Auch der Umgang mit Langzeitarbeitslosigkeit ist vor allem ein Abwälzen einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik auf die Betroffenen. Die Große Koalition ist hier keinen Schritt vorwärts gekommen. Die konjunkturelle Entwicklung hat zwar kurzfristig einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen gebracht! Doch die Menschen, die langzeitarbeitslos sind, die auf Grund ihres Alters, ihrer familiären Situation oder ihrer fehlenden Qualifikation als „schwer vermittelbar“ gelten – die sind nach wie vor die Verlierer. Und in dieser Situation wird auch noch Stimmung gegen Langzeitarbeitslose gemacht, die angeblich „zügellos“ (so CDU-Generalsekretär Pofalla) Sozialleistungssysteme ausnutzen. Wir wehren uns gegen eine Debatte, die den Hartz-IV-Empfängern auch noch die Schuld zuschiebt.

Dabei sind diejenigen, die jetzt über den „Missbrauch“ von Sozialleistungen lamentieren, für die Hartz-IV-Gesetze selbst verantwortlich. Es ist heuchlerisch, denjenigen, die auf diese Leistungen angewiesen sind, vorzuwerfen, dass sie sie in Anspruch nehmen.

 

Der Sozialverband Deutschland fordert ein Mehr an Solidarität und sozialer Gerechtigkeit, keine Umverteilung von unten nach oben! Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und radikale Kürzungen der Sozialleistungen führen dazu, dass immer mehr Menschen arm und ausgrenzt sind. Die Angst vor dem sozialen Abstieg wächst. Außerdem führt der Abbau sozialer Chancengleichheit dazu, dass viele Menschen keinen Ausweg mehr aus der Armut finden. Wir wehren uns daher gegen eine Debatte, die mit Schuldzuweisungen geführt wird. Man kann Menschen nicht vorwerfen, dass sie Aufstiegschancen nicht nutzen, wenn sie in Wirklichkeit keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben.

Es ist schlicht falsch zu behaupten, wir könnten uns diesen Sozialstaat nicht mehr leisten und gleichzeitig den Unternehmen Steuerentlastungen in Milliardenhöhe zu versprechen. Deutschland ist das drittreichste Land der Erde, wir sind Exportweltmeister! Die Lohnstückkosten sinken von Jahr zu Jahr! Die Unternehmensbesteuerung ist unterdurchschnittlich gering – die Quote für Steuern und Abgaben ist so niedrig wie seit 1972 nicht mehr! Und die Wirtschaftskraft ist ja groß genug, um die Vorstandsbezüge großer deutscher Unternehmen um durchschnittlich 11% steigen zu lassen! Auch die Gewinne der DAX-Unternehmen steigen teilweise um einen dreistelligen Prozentbetrag!

Hier ist auch ein Mehr an sozialer Verantwortung in den Vorstandsetagen großer Unternehmen notwendig. Es ist moralisch verwerflich, in Anbetracht steigender Gewinne immer mehr Menschen auf Kosten der Sozialversicherungen zu entlassen und dann eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge zu verlangen. Es ist moralisch verwerflich, von den Beschäftigten Lohnkürzungen und Nullrunden zu verlangen und sich selbst das Gehalt massiv zu erhöhen. Es ist ein gutes Stück sozialer Verantwortung, den Menschen in diesem Land die Möglichkeit zu menschenwürdiger und angemessener Beschäftigung zu geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

was wir brauchen ist:

  • einen Staat, der dem Gemeinwohl und den Interessen all seiner Bürgerinnen und Bürger verpflichtet ist und nicht vor allem die Interessen von Wirtschafts- und Unternehmensverbänden im Auge hat, die nach kurzfristiger Rendite streben.
  • einen Staat, der Solidarität und soziale Gerechtigkeit in der Sozialpolitik unterstützt – keine Privatisierung sozialer Risiken, die unter dem Deckmantel der Eigeninitiative, Eigenvorsorge und Freiheit immer mehr Menschen in Armut, Bedürftigkeit und Krankheit treibt.
  • einen Staat, der den Zusammenhalt zwischen den Generationen fördert und nicht jüngere gegen ältere Menschen aufhetzt, um Kürzungen und Abbau von Renten und anderen Sozialleistungen durchzusetzen.
  • einen Staat, der auf Gemeinschaft und Integration setzt und nicht auf Egoismus, Ausgrenzung und Ellenbogenmentalität!
  • einen Staat, der versicherungspflichtige Beschäftigung fördert und sie nicht durch Ein-Euro-Jobs und die Ausweitung von Minijobs vernichtet.

Wir brauchen eine verlässliche Politik, die das Vertrauen der Menschen in die Zukunft stärkt!

Gemeinsam mit den Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen gesellschaftlichen Organisationen werden wir für diese Politik kämpfen! Gemeinsam können wir viel erreichen!



Pressestelle
Frau Dorothee Winden
Tel.: 030/72 62 22 129/ Sekretariat -123
Fax: 030/72 62 22 328
E-Mail: pressestelle@sovd.de

Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD)
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