"Der Tod sitzt in der Sofa-Ecke" - Prof. Dr. Hans Wilhelm Zeidler über die Branche

In Folge 56 des YouTalk-Podcasts mit den Moderatoren Ingolf Putzbach und Oliver Lang spricht Prof. Dr. Hans Wilhelm Zeidler über seine langjährige Karriere, aktuelle Marktentwicklungen und die Zukunft der Versicherungswirtschaft. Der gebürtige Friese startete nach seinem Studium in Göttingen bei der Gothaer Lebensversicherung und war seitdem in verschiedenen Positionen in der Versicherungsbranche mit Schwerpunkt Vertrieb tätig.

Eine lebenslange Leidenschaft für den Vertrieb

Er würde sich immer wieder für den Vertrieb entscheiden, bekennt Zeidler mit Überzeugung. Für ihn ist der Vertrieb "eine wahnsinnig schöne Funktion, eine wahnsinnig interessante Funktion, natürlich auch eine wahnsinnig wichtige Funktion." Diese Begeisterung hat ihn durch seine gesamte Karriere begleitet, die ihn von der Gothaer über verschiedene Versicherungsunternehmen bis hin zu Führungspositionen bei Maklern geführt hat.

Aktuelle Tätigkeit: Bestandsbewertung und -vermittlung

Nach seinem offiziellen Ausscheiden aus dem aktiven Dienst bewertet und vermittelt Zeidler heute Maklerbestände: "Ich kaufe nicht, sondern ich vermittle." Daneben bietet er Beratungen im Bereich Marketing und Vertrieb für die Versicherungs- und Dienstleistungsbranche an.

Marktkonsolidierung bei Maklern: Ein Run auf die Bestände

Zur aktuellen Situation im Maklermarkt äußert sich Zeidler klar: "Wir sind im Moment in einem Nachfragemarkt, was Auswirkungen auf die Höhe des Preises hat, und in der Tat werden im Moment für Makler sehr gute Preise gezahlt." Er spricht von einem regelrechten Run auf Maklerbestände, wobei die Aufkäufer zunächst vor allem auf Volumen statt auf Synergien setzen.

Dieser Trend betrifft nicht nur die großen, medial sichtbaren Übernahmen: "Das Privatkundengeschäft wird sehr oft von Kleinmaklern betrieben, die sich auch verkaufen, aber nicht in die Presse kommen." Es findet also auch eine Konsolidierung unter der Wahrnehmungsschwelle statt.

Zeidler prognostiziert, dass die Phase des reinen Wachstums durch Zukäufe nicht ewig andauern wird. In der Regel sind diese Aufkäufer auch durch Kapital unterstützt, durch Kapitalgeber, Risikokapitalgeber, die am Anfang mitspielen, aber irgendwann sagen, und jetzt hätten wir gerne Rendite und Erfolge. Wenn dieser Punkt erreicht ist, werden die Aufkäufer ihre Geschäftsmodelle konsolidieren und auf Profitabilität trimmen müssen.

Die Digitalisierungslücke der Versicherungsbranche

Besonders kritisch sieht Zeidler den Stand der Digitalisierung in der Versicherungsbranche. Er bezeichnet den aktuellen Stand als vorsintflutlich und erklärt: "Die Versicherungsbranche ist in dem Punkt auch nicht ehrlich. Sie behauptet immer, was sie alles kann und was sie tut. In Einzelfällen tut sie das auch, aber im Großen ist es vorsintflutlich."

Interessanterweise kommen die Innovationsimpulse oft nicht von den Versicherern selbst: "Die Versicherer sind, was die Technisierung betrifft, auf einem Niveau, das erinnert noch eher an Automatisierung, geschweige denn Digitalisierung oder KI." Stattdessen kommen die Impulse häufig von den Vermittlern oder direkt von den Endkunden: Ein Treiber ist da tatsächlich auch der Vermittler oder Vermittlerschaften, die mit Forderungen kommen, die dann auch umgesetzt werden, aber es eine graue Zeit dauert.

Als Beispiel für die langsame Entwicklung nennt Zeidler den Verein BiPRO, der sich für Datenaustausch-Standards in der Branche einsetzt. Obwohl er den Verein schätzt, kritisiert er die jahrzehntelange Entwicklungszeit für Datenaustausch-Standards. Versicherungsvorstände würden BiPRO als "Spitze der Entwicklung" feiern, während grundlegende Datenstandards für eine datenbasierte Branche viel zu lange zur Umsetzung brauchten. Trotz IT-Investitionen liefern viele Versicherer Daten nicht zuverlässig, können nach IT-Umstellungen bestimmte Produkte nicht mehr anbieten und reagieren zögerlich auf die FIDA-Regulierung. Für Zeidler zeigt dies eine defensive, veränderungsscheue Branche.

Die Bedeutung des Maklervertriebs

Er sei ein „fanatischer Anhänger der Maklerschaft" betont Zeidler die besondere Bedeutung des Maklervertriebs, der aus seiner Sicht auch weiterhin Bedeutung behalten wird. Er begründet dies mit zwei Faktoren: Zum einen gibt es Produkte, die zwingend beraten werden müssen, zum anderen gibt es Menschen, die bestimmte Aufgaben gerne delegieren.

Zeidler plädiert für eine Kombination verschiedener Vertriebswege und betont, dass moderne Technologien und persönliche Beratung sich ergänzen sollten: "Du musst im Grunde dem Vertrieb oder den Maklern die Fähigkeit versetzen, diese Instrumente mitzuspielen, dass sie nicht nebeneinander laufen, sondern quasi vereinigt werden."

Die Last der Regulierung

Zum Abschluss des Gesprächs teilt Zeidler eine alarmierende Zahl: "Ein bedeutender, guter Versicherer in Deutschland hat mal ermittelt, wie viel Anteil an der Gesamtkostensumme nehmen die Befriedigung von regulativen Vorgaben ein: 17 Prozent."

Diese hohe Belastung durch regulatorische Anforderungen bezeichnet er als "irre" und warnt: "Wir sind auf dem Weg zu 20 Prozent. Das heißt, der Versicherer arbeitet ein Fünfteljahr nur dafür, um von Frieda bis zu Emma alles abzuarbeiten."

 

 

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