GKV-Chef: Leistungskürzungen und Fusionen keine Lösung

Im Politico Berlin Playbook Podcast bespricht Gesundheitsexperte Jürgen Klöckner die dramatische Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung. Als Gesprächspartner gibt Jens Baas, Chef der größten deutschen GKV Techniker Krankenkasse, Einblicke in die kommenden Herausforderungen und widerspricht der Regierung bei einem zentralen Punkt.

Leistungskürzungen sind Tabu der Ampel-Regierung

Bundeskanzler Friedrich Merz hat eine Kehrtwende vollzogen. Während die vorherige Ampel-Regierung Leistungskürzungen kategorisch ablehnte, spricht der Kanzler nun offen über "Zumutungen" für die Versicherten. "Wo fängt Eigenverantwortung an, wo hört Eigenverantwortung auf und geht in Solidarität über? Diese Grenzen, die müssen auch neu gezogen werden", erklärte Merz im ARD-Sommerinterview.

Gleichzeitig erteilt der Kanzler einer einheitlichen Bürgerversicherung eine klare Absage. Mit einer Auto-Metapher auf einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag nahm er die PKV in Schutz: "Wenn Sie den Mercedes verbieten, wird der Golf teurer", lautete sein metaphorischer Merksatz. Die Botschaft: Das Zwei-Säulen-System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung soll erhalten bleiben.

Gesundheitsexperte Klöckner ordnet dies als echten Politikwechsel ein: "Das heißt für mich vor allem, der traut sich was, was sich die Ampel nicht getraut hat." Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die SPD hätten Leistungskürzungen stets als Tabu behandelt.

Leistungskürzungen - aber welche?

Hinter den Kulissen werden bereits konkrete Sparmaßnahmen diskutiert. Im Koalitionsvertrag steht bereits verklausuliert, dass Patienten nicht mehr ohne Überweisung zum Facharzt dürfen sollen. Doch Union-Politiker denken weiter: bestimmte zahnärztliche Leistungen sollen nicht mehr übernommen werden, außerdem eine Bindung an einen bestimmten Hausarzt festgeschrieben werden.

Die SPD blockiert jedoch weiterhin: Sie lehnt Leistungskürzungen kategorisch ab, was die Koalition mit der Union belastet.

Techniker-Chef: "Leistungskürzungen sind der falsche Weg"

Jens Baas, Chef der mit über 11 Millionen Versicherten größten deutschen Krankenkasse, widerspricht der Regierungslinie deutlich. "Ich halte das für eine wirklich nicht richtige Diskussion. Wir sollten nicht über Leistungskürzungen diskutieren, sondern wir sollten darüber diskutieren, wie man das vorhandene Geld besser nutzen kann", erklärt der Mediziner im Interview.

Auf die konkrete Nachfrage, welche Leistungen überflüssig seien, wird Baas deutlich: "Welche Leistung überflüssig ist, ist genau die Frage, die ich immer allen Menschen stelle, die sowas vorschlagen. Was wollen wir denn nicht mehr bezahlen?"

Homöopathie-Streichung spart kaum Geld

Selbst bei der umstrittenen Homöopathie, die oft als Sparmaßnahme genannt wird, dämpft Baas die Erwartungen. Als Arzt habe er "wenig Bauchschmerzen" mit einer Streichung, jedoch: "Die GKV retten oder die Finanzierung retten wird man damit nicht. Wir reden hier wirklich von ganz, ganz niedrigen Promillen der Ausgaben."

Dramatischer Beitragsanstieg erwartet

Die schlechte Nachricht für alle Versicherten: Die Beiträge werden deutlich steigen. Baas prognostiziert "mindestens einen Beitragsanstieg um 0,2 Beitragsatzpunkte, könnten aber auch 0,4 bis 0,5 Beitragsatzpunkte werden" für das kommende Jahr.

Klöckner warnt vor den politischen Folgen: "Höhere Beiträge in der Sozialversicherung, das heißt am Ende weniger Netto vom Brutto, das jetzt schon für viele kaum ausreicht, um den Alltag zu bestreiten. Die Kaufkraft sinkt also und das ist wirklich Gift für die politische Stimmung in diesem Land."

Gibt es zu viele gesetzliche Krankenkassen?

Bei der Anzahl der Krankenkassen sieht auch Baas Reformbedarf. Statt knapp 100 Kassen würden "30 bis 40" ausreichen, um Versicherten ausreichend Auswahl zu bieten. Allerdings relativiert er gleich: Viel Geld lasse sich dadurch nicht sparen, da die Verwaltungskosten nur etwa 4 Prozent der Gesamtausgaben ausmachen.

Wirtschaftswachstum wäre die Lösung

Konkrete schnelle Lösungen bleiben Mangelware. Eine Kommission soll erst 2027 Vorschläge vorlegen - viel zu spät angesichts der akuten Probleme. Klöckner sieht mögliche Entlastung durch höhere Steuerzuschüsse für Bürgergeldempfänger und hofft auf bessere Konjunktur. "Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, damit auch der Arbeitsmarkt besser läuft, dann geht es auch den Kassen viel besser."

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