Die deutsche Automobilindustrie stirbt

Im Podcast "Der Autopreneur" analysiert Gastgeber Philipp Raasch die Situation, die deutsche Autowerke in zwei bis sechs Wochen zum Stillstand bringen könnte. Der Grund: Ein niederländischer Chiphersteller namens Nexperia wurde zum Spielball im Machtkampf zwischen USA und China. Europa wird zwischen den Supermächten zerrieben, nur eine neutrale Position verspricht langfristigen Erfolg.

Der unsichtbare Riese der Autoindustrie

Nexperia ist ein Name, den kaum jemand kennt, aber ohne den nichts läuft. Das niederländische Unternehmen kontrolliert 40 Prozent des Weltmarkts für einfache Halbleiter, die in Airbags, LED-Steuerungen und Sensoren stecken. "Hunderte davon stecken in jedem einzelnen Auto", erklärt Raasch. 55 Prozent des Nexperia-Umsatzes stammen aus der Autoindustrie. Praktisch alle deutschen Autobauer sind Kunden.

Die Chips mögen technisch simpel sein, doch ohne sie geht nichts. Seit letzter Woche kommen keine Lieferungen mehr aus China, wo 80 Prozent der Produktion getestet und verpackt werden. Die Folgen: VW prüft bereits Kurzarbeit für zehntausende Mitarbeiter, BMW und Mercedes arbeiten an Notfallplänen.

Wenn Regierungen CEOs absetzen

Die Eskalation begann im Dezember 2024, als die USA den chinesischen Mutterkonzern Wingtech auf ihre Sanktionsliste setzten. Das Problem: Zhang Zhejiang war gleichzeitig Gründer von Wingtech und CEO von Nexperia. Washington sah darin ein Sicherheitsrisiko und stellte den Niederlanden ein Ultimatum: "Entweder Zhang geht, oder Nexperia wird von US-Exportkontrollen getroffen."

Am 30. September 2025 geschah dann etwas Beispielloses: Die niederländische Regierung übernahm per Gerichtsbeschluss die Kontrolle über Nexperia und setzte den CEO ab. Die offizielle Begründung lautete "gravierende Governance-Mängel". Raasch kommentiert trocken: "Eine Regierung setzt den CEO eines privaten Unternehmens ab. Auf Druck aus Washington."

Chinas kalkulierter Gegenschlag

Die Reaktion aus Peking ließ nicht lange auf sich warten. Am 4. Oktober blockierte China alle Nexperia-Exporte. Ein kalkulierter Gegenschlag, der Europa trifft. "Alles maximal kostenoptimiert. Aber eben auch extrem verwundbar", analysiert Raasch die globale Lieferkette. Die chinesische Nexperia-Einheit hat sich mittlerweile praktisch unabhängig erklärt. Sie will den Verkauf der chinesischen Fabriken verhindern und kontrolliert die kritischen Testprozesse.

Die Lager leeren sich

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) schlägt Alarm: "Vier von sieben großen Zulieferern haben in drei bis fünf Tagen Lieferschwierigkeiten." Bei manchen Zulieferern sind die Lager bereits komplett leer, bei anderen reichen sie noch zwei bis sechs Wochen. Ein Brancheninsider spricht von "Stunden oder maximal Tagen".

Theoretische Alternativen wie Infineon oder STMicroelectronics existieren zwar, doch jedes neue Bauteil muss erst zertifiziert werden. Das dauert Monate. Zeit, die die Industrie nicht hat.

Europas drei Optionen

Europa steht vor einem Dilemma: Die erste Option wäre, sich auf die Seite der USA zu stellen. Doch Trump behandelt Europa nicht mehr wie einen verlässlichen Partner, und China ist mittlerweile Deutschlands größter Handelspartner. "Würden wir uns auf die Seite der USA stellen, würden wir massive Vergeltungsmaßnahmen aus China riskieren."

Die zweite Option, sich China anzunähern, ist ebenfalls keine Lösung. Die Abhängigkeit von den USA bei Verteidigung, IT, KI und Energie ist zu groß. Bleibt nur Option drei: Neutralität. "Beiden Seiten ein bisschen geben, von beiden ein bisschen nehmen. Die Balance halten", beschreibt Raasch diesen Weg. Das sei anstrengend und riskant, aber alternativlos.

Der lange Weg zur Autonomie

Die Lösungen teilt Raasch in drei Zeithorizonte: Kurzfristig braucht es diplomatische Deeskalation. Der niederländische Wirtschaftsminister telefonierte bereits mit seinem chinesischen Kollegen, bisher ohne Durchbruch. Mittelfristig geht es um echte geografische Diversifizierung. "Redundante Lieferketten, ausfallsicher. Das ist teuer, aber in den heutigen Zeiten notwendig."

Langfristig müsse Europa strategische Autonomie in allen kritischen Bereichen aufbauen: Batterien, Chips, seltene Erden, Verteidigung, Energieversorgung, Software und KI. Das sei nichts, was von heute auf morgen gehe. "Da reden wir von Jahrzehnten. Aber wir müssen anfangen. Denn die Alternative ist, dass wir dauerhaft erpressbar bleiben."

Ein Stellvertreterkrieg auf europäischem Boden

Raasch bringt die Situation auf den Punkt: "Die Nexperia-Krise hat eigentlich nichts mit der Autoindustrie zu tun. Sie hat nichts mit Europa zu tun. Aber wir sind der Kollateralschaden." Er stellt die provokante Frage, wie Europa reagieren würde, wenn China morgen den CEO eines deutschen Unternehmens in China absetzen würde.

Es ist ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und China, ausgetragen über Technologie, Halbleiter und wirtschaftliche Macht. Europa wird dabei von beiden Seiten unter Druck gesetzt. Die Lösung könne nicht sein, sich für eine Seite zu entscheiden. "Ansonsten wird es uns immer wieder treffen. Jedes Mal, wenn sich die USA und China streiten."

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