Grobe Fahrlässigkeit
In vielen Versicherungssparten ist der Versicherer berechtigt Schäden, die durch grobe Fahrlässigkeit verursacht werden, auszuschließen bzw. die Leistung je nach Schwere des Verschuldens des VN´s zu kürzen. Durch das neue VVG wurde in 2008 das "Alles oder Nicht-Prinzip" aufgehoben (§ 81 VVG). Vorher konnten die Versicherer bei grober Fahrlässigkeit den Versicherungsschutz völlig versagen.
Eine Einschränkung der Leistung bei grober Fahrlässigkeit ist z.B. in den Sparten Hausrat-, Wohngebäude- oder Kfz-Versicherung möglich.
Allerdings bieten auch viele VU Tarife an, in denen ein grob fahrlässiges Verhalten mitversichert werden kann.
Die Privat-Haftpflicht- und auch die Unfall-Versicherung ersetzen dagegen grobfahrlässig verursachte Schäden.
Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Rechtssprechung eine "besonders schwere Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt". Es kommt nicht darauf an, ob derjenige, welcher grobfahrlässig handelt, sich dessen bewusst ist, sondern darauf, ob objektiv ein solcher Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt vorliegt.
Im Klartext heißt dieses: grobfahrlässig handelt, wer nicht bedenkt, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste bzw. wer die erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grade, außer Acht lässt.
Was hat sich durch die VVG-Reform verändert?
Im alten VVG gab es Fälle, in denen grobe Fahrlässigkeit zur Leistungsfreiheit führte, aber bei leichter Fahrlässigkeit vollständiger Versicherungsschutz bestehen blieb. Prototyp dafür war die Herbeiführung des Versicherungsfalles, aber auch die Verletzung vereinbarter Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall, der Rettungspflicht. Die Versicherer haben in ihren Versicherungsbedingungen ähnliche Differenzierungen eingeführt. Das hatte die Folge, es wurde bei leichter Fahrlässigkeit voller Versicherungsschutz gewährt, bei grober Fahrlässigkeit gab es hingegen keinen Versicherungsschutz.
Die heutige Regelung ist dadurch gekennzeichnet, dass nach dem neuen VVG leichte Fahrlässigkeit nicht mehr zur Leistungsfreiheit führt. Hingegen ist bei grober Fahrlässigkeit nicht mehr Leistungsfreiheit in vollem Umfang vorgesehen, sondern der Versicherer ist zur Kürzung nach der Schwere der Schuld berechtigt. Anwendungsbereiche dieser Kürzungsbefugnis sind die Gefahrerhöhung, die Verletzung von Obliegenheiten sowie die Herbeiführung des Versicherungsfalls.
Bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gibt es keine Quotierung.
Nach welchen Kriterien kürzen die VU?
Das Gesetz gibt insoweit vor, nach der Schwere des Verschuldens der groben Fahrlässigkeit zu kürzen. Das führt dazu, dass wir innerhalb der groben Fahrlässigkeit nunmehr differenzieren müssen: Nach einer leichten groben Fahrlässigkeit, die noch in der Nähe der leichten Fahrlässigkeit liegt, der mittleren groben Fahrlässigkeit und der gröbsten groben Fahrlässigkeit, die schon nahe an den Vorsatz heran reicht.
Die Schwere des Verschuldens wird daran gemessen, wie hoch der Vorwurf gegenüber dem Versicherungsnehmer ist. Wie schwer wiegt sein Verstoß bei Obliegenheitsverletzungen oder hinsichtlich seines Verhaltens zur Herbeiführung des Versicherungsfalles.
Ein Beispiel: Wer mit seinem Auto fährt und absolut fahruntüchtig mit über 1,1 Promille ist, der untersteht der gröbsten groben Fahrlässigkeit. Es handelt sich um einen Straftatbestand, der wegen der Gefährdung von Personen und Sachen besonders hoch einzuschätzen ist. In diesen Fällen kann eine Kürzung auf Null erfolgen.
Die Trunkenheit wäre der schwerste Verstoß. Weiterhin gibt es beispielsweise Obliegenheiten in den Versicherungsbedingungen, wie in den VGB, in denen steht, dass der Gebäudezustand zu beachten und zu überwachen ist.
Ein anderes Beispiel wären vereinbarte individuelle Sicherungsmaßnahmen, wie der Einbau einer Alarmanlage oder sonstige Sicherungen von hochwertigen Inhalten.
Für die Abstufung der Schwere des Verschuldens gibt es weitere Gesichtspunkte, etwa die Offenkundigkeit der Obliegenheitsverletzung, wie bei der vorgenannten vereinbarten individuellen Sicherung, die natürlich eingeschaltet werden muss.
Der objektive Pflichtverstoß ist der Ausgangspunkt, aber die grobe Fahrlässigkeit setzt auch voraus, dass man dieses Verhalten dem jeweiligen Versicherungsnehmer noch subjektiv als schweres Verschulden vorwerfen muss. Insoweit kommen weiterhin Entlastungsmomente in den Blick. Es kann sich jemand nach einem anstrengenden Arbeitstag beispielsweise nicht mehr richtig im Straßenverkehr verhalten oder er ist nach längerer Fahrt zu seinen schwer kranken Eltern besonders belastet. Er hat unangenehme Familiennachrichten erhalten, wie Krankheit oder noch Schlimmeres. Auch diese subjektiven Merkmale finden bei der Quotierung Berücksichtigung.
Quotenschritte werden regelmäßig in der Praxis von 10 bis 100 in Zehnerschritten vorgeschlagen, es gibt aber auch die Regelungen, 25, 50 oder 75 Prozent-Kürzungen vorzunehmen.
Warum nehmen die Versicherungsunternehmen unterschiedliche Kürzungsquoten vor?
Jeder Versicherer muss zunächst für sich entscheiden, wie er derartige objektive Verstöße mit Kürzungsquoten versieht. Das muss nicht bei allen Versicherungsunternehmen identisch sein, da es wertende Unterschiede gibt. Oft arbeiten die Versicherer mit Einstiegswerten, die dann nachträglich positiv und negativ korrigiert werden, mit Fallgruppen oder einer Regelkürzung von 50 Prozent. Dabei handelt es sich um Praxishilfen, es gibt noch keine Fallgruppen, die von der Rechtsprechung akzeptiert werden.
Das bedeutet, Listen, Tabellen vom Versicherer oder von Kommentatoren oder Rechtsanwälten oder sonstigen Personen sind Vorschläge und Meinungen, die sich in der Rechtsprechung erst durchsetzen müssen.
Urteile
Bundesgerichtshof vom 11.1.2012 - Trunkenheitsfahrt (Az.: IV ZR 251/10)
Ein Kfz-Haftpflichtversicherer darf einen Versicherten in Ausnahmefällen bei grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit in voller Höhe in Regress nehmen.
Bundesgerichtshof vom 22. Juni 2011 - Entscheidung zum Leistungskürzungsrecht des Versicherers bei grober Fahrlässigkeit (hier Trunkenheitsfahrt) - IV ZR 225/10
Mitteilung der Pressestelle (Nr. 110/2011)
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei dieser bestehenden Fahrzeugvollversicherung wegen eines Unfalls in Anspruch. Am 13. Juli 2008 kam der sich auf einer Rückfahrt von einem Rockkonzert befindende Kläger gegen 7.15 Uhr mit seinem PKW außerorts in einer Kurve nach links von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Laternenpfahl, wodurch am Fahrzeug ein Schaden von ca. 6.400 € entstand. Eine um 8.40 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,70 Promille. Im anschließenden Strafverfahren wurde der Kläger wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt. Die Beklagte verweigerte jede Leistung.
Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Die Revision, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt hatte, hat Erfolg.
Mit dem heutigen Urteil hat der u. a. für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat entschieden, dass ein Leistungskürzungsrecht des Versicherers nach § 81 Abs. 2 VVG* wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ausscheidet, wenn der Versicherungsnehmer unzurechnungsfähig war. Dies kam hier für den Zeitpunkt des Unfalls wegen der hohen Blutalkoholkonzentration des Klägers sowie weiterer Indizien (Blutentnahmeprotokoll, Angaben der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten) in Betracht. Da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war das Urteil bereits aus diesem Grund aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen. Sollte eine Unzurechnungsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen haben, so kann der Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles allerdings auch an ein zeitlich früheres Verhalten anknüpfen. Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer vor Trinkbeginn oder in einem Zeitpunkt, als er noch schuldfähig war, erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit einen Versicherungsfall herbeiführen wird. Hierfür ist maßgeblich, ob und welche Vorkehrungen der Kläger, der mit dem PKW unterwegs war und beabsichtigte, Alkohol zu trinken, getroffen hatte, um zu verhindern, dass er die Fahrt in alkoholisiertem Zustand antreten oder fortsetzen wird.
Sollte nach den noch zu treffenden Feststellungen von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger auszugehen sein, so ist der Versicherer nach der durch das Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) zum 1. Januar 2008 eingeführten Vorschrift des § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Anders als die frühere Regelung des § 61 VVG a.F., die bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles kraft Gesetzes eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers vorsah ("Alles-oder-Nichts-Prinzip"), enthält § 81 Abs. 2 VVG nunmehr eine Quotenregelung. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im juristischen Schrifttum ist streitig, ob die Neuregelung dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, seine Leistung gänzlich zu versagen oder ob in jedem Fall eine zumindest anteilige Quote des Schadens zu ersetzen ist. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass der Versicherer bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen darf, sog. Kürzung auf Null. Das kann bei absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht kommen, bedarf aber immer der Abwägung der Umstände des Einzelfalles.
Oberlandesgerichts Hamm vom 25. August 2010 - 20 U 74/10
Beim Vorliegen relativer Fahruntüchtigkeit wegen einer Blutalkohol-Konzentration ab etwa 0,3 Promille darf ein Vollkaskoversicherer seine Leistungen in der Regel um mindestens 50 Prozent kürzen. Beim Erreichen absoluter Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) ist der Versicherer vollständig von seiner Leistungsverpflichtung befreit.
Der Versicherer wollte im vorliegenden Fall die Leistung um 75 % kürzen. Nach Ansicht des Gerichts kann eine Kürzung um 75 Prozent aber nur erfolgen, wenn dieses an den Bereich schwerwiegender grober Fahrlässigkeit angrenzt. Davon ging das Gericht hier nicht aus.
Landgericht Münster vom 24.9.2009 - 15 O 275/09 Kfz-Vollkasko, Alkohol im Spiel
Nach einem Urteil des Landgerichts Münster tritt vollständige Leistungsfreiheit in der Vollkaskoversicherung ein, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig verursacht hat. Quelle: maklercockpit.de
Landgericht Bonn vom 31.7.2009 – 10 O 115/09 Kfz-Vollkasko, Alkohol im Spiel
Der PKV des VN wurde nach einem Unfall beschädigt. Der alkoholisierte VN saß auf dem Beifahrersitz, das Fahrzeug wurde von einem Bekannten gesteuert, der ebenfalls alkoholisiert war.
Das LG Bonn erlaubte dem Versicherer, die Leistung um 75 % zu kürzen. Eine Kürzung von 100 % lehnte das Gericht ab, da der VN nicht selbst fuhr, sondern den Schlüssel seinem Bekannten ausgehändigt hatte.