Fynn Monshausen ist seit fast fünf Jahren bei BarmeniaGothaer tätig und verkörpert die neue Art von Versicherungsmanager: Der 36 Jahre alte Bereichsleiter erklärt seine Rolle prägnant mit dem Satz "Im Kern bin ich für das Internet verantwortlich." Und das ist mehr als nur eine Website. Zu seinen Aufgaben gehören der Gestaltung der Online Abschlussprozesse, die Präsenz auf Vergleichsportalen, das Kundenportal sowie die Unternehmens-App. Alles soll unter der Dachmarke BarmeniaGothaer sukzessive zusammengeführt werden. Monshausens beruflicher Werdegang zeigt einen klaren Fokus auf digitale Transformation: Nach zehn Jahren bei Roland Rechtschutz spezialisierte er sich auf den Bereich Digitalvertrieb und Service.
Das Phänomen der verschwindenden Kundenschnittstelle
Die zentrale These von Fynn Monshausens Vortrag auf der Konferenz trägt den provokanten Titel "Keine digitale Kundenschnittstelle, keine Zukunft." Der Grund dahinter ist ein in der Versicherungsbranche noch wenig beachtetes Phänomen: Zero-Click-Search.
Google liefert neuerdings durch die KI Antworten direkt in den Suchergebnissen aus, ohne dass Nutzer die Webseiten dahinter besuchen müssen. Die Auswirkung auf Verlage und Content-Publisher ist dramatisch: "Deren Traffic ist innerhalb von sechs Monaten halbiert. Global. Ist einfach passiert." Monshausen hat sich intensiv mit dieser Entwicklung beschäftigt und zieht daraus Lektionen für die Versicherungsbranche.
Das zentrale Risiko liegt in der mangelnden Kontrolle über die Kundenschnittstelle. Wer auf Google oder andere Vermittler angewiesen ist, verliert die direkte Beziehung zum Kunden. Das ist kein neues Problem, aber eines mit neuer Dringlichkeit. "Mir ist dadurch nochmal klar geworden, wie fragil die Kundenschnittstelle ist, wenn man nicht selber der Besitzer von dieser ist."
Konkrete Zahlen aus der Praxis
Monshausen gibt Einblicke in die Realität bei BarmeniaGothaer: Das Unternehmen betreibt Kundenportale, die ungefähr 20 Millionen Mal im Jahr genutzt werden. Bei insgesamt acht Millionen Kunden haben lediglich 25 Prozent Zugang über diese digitalen Kanäle. Das bedeutet: Drei Viertel der Kundschaft interagiert über andere Wege mit der BarmeniaGothaer. Diese Quote zu erhöhen ist entscheidend, da der Zugang zum Portal nicht nur eine Frage von Automatisierung ist, sondern auch von gelerntem Verhalten. Je früher Kunden sich an die digitalen Kanäle des Versicherers gewöhnen, desto sicherer wird die Kundenbindung.
Eine historische Perspektive auf die Digitalisierung
Besonders aufschlussreich ist Monshausens Betrachtung der historischen Perspektive. Versicherer hatten die Kundenschnittstelle klassischerweise nie selbst in der Hand. Makler und Versicherungsvertreter waren die Schnittstelle zum Kunden. "Und da reden wir jetzt noch gar nicht von Daten, sondern wir reden vor allen Dingen erst mal darüber, dass Menschen ein bestimmtes Verhalten haben."
Mit der Digitalisierung müssen Versicherer eine völlig neue Fähigkeit entwickeln. Sie müssen lernen, wie man Kundenschnittstellen eigenständig betreibt und gestaltet. Das ist nicht einfach eine Erweiterung bestehender Kompetenzen, sondern eine fundamentale Neubewertung der Unternehmensfähigkeiten. "Das haben sie de facto nie verstanden. Und da tut sich halt was." Mit dieser nüchternen Diagnose beschreibt Monshausen das Transformationsproblem der Branche.
KI: Die Kipppunkte der Technologie
KI ist dabei kein isoliertes Problem, sondern die Fortsetzung einer längeren technologischen Entwicklung. "Es gibt Elektrizität, dann gibt es Internet und jetzt gibt es KI. Und evolutionär sind das alles drei Kipppunkte, die dann vollständig durch Geschäftsmodelle durchgeflogen sind."
Er unterteilt die KI-Entwicklung in drei Phasen. Die erste ist generative KI, mit der wir uns bereits beschäftigen. Hier stellen wir Fragen und erhalten präzise Antworten. Die zweite Phase ist Agentic AI oder Agenten-KI, die eigenständig Aufträge erledigt. "Die uns in die Lage versetzt, dass jemand für uns vollkommen vollständige Aufträge erledigt." Diese Agenten könnten etwa Geräte im Haushalt steuern, ohne dass wir jede Aktion explizit anweisen.
Die dritte und letzte Phase ist General AI, also allgemeine künstliche Intelligenz. Diese wird Monshausen zufolge in den nächsten fünf bis zehn Jahren erreicht. Dabei wird KI den Menschen in all seinen Handlungen verstehen und diese dann eigenständig übernehmen können. "Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie es in zwei, drei Jahren aussieht." Ein Gespräch mit einer OpenAI-Mitarbeiterin verdeutlichte ihm die Geschwindigkeit der Entwicklung: Das Unternehmen released alle zwei Wochen große Feature-Pakete.
Praktische Anwendungen statt KI-Rhetorik
Monshausens "Famous Last Words" zum Ende des Gesprächs: Er plädiert dafür, weniger über KI zu reden und stattdessen mehr zu sehen, wie diese Technologie tatsächlich wirksam wird. "Ich würde gern weniger von dem Wort KI hören und viel mehr davon sehen, wie sie in Teilen unserer Wertschöpfungskette wirksam wird."
Konkret fordert er praktische Beispiele, wo KI nicht nur möglich ist, sondern einen verändernden Faktor darstellt. Ein Anwendungsfall wäre etwa, Menschen im Service oder Schadensfall über verschiedene Kanäle Zugang zu geben: Per Voice, Chat oder Text, ganz wie der Kunde es bevorzugt. "Dass Kommunikation zwischen Kunden und uns als Versicherern sich derartig modernisiert, dass wir eigentlich mit jedem so sprechen können, wie derjenige sich das wünscht."
Diese Vision führe nicht zu disruptiven Brüchen, sondern zu einer echten Verbesserung. Versicherer hätten eine Chance, Dinge besser zu machen, ohne die traditionelle Kundenbeziehung grundlegend zu gefährden. Ein weniger technologischer, sondern eher kundenorientierter Ansatz zur KI-Transformation.



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